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Trump
„säubert“. Eine US-amerikanischer Usus
Es war im Frühjahr 1980 im stets gut besuchten Bücherantiquariat an der Ecke Grimmaische/Nikolaistrasse in Leipzig. Immer, wenn ich in der Nähe war, drängelte ich mich rein. Irgendwelche
Schnäppchen aus vor-NS-Zeiten oder DDR-Bücktischware konnten immer zu finden sein. Für DDR-Verhältnisse ein sehr schöner Buchladen.
Schnell fielen mir die „Lebenserinnerungen Band II 1907“ von Carl Schurz ins
umherschweifende Auge. Carl Schurz, war das nicht der badische Revolutionär von 1848, der später in den Vereinigten Staaten 1871/1881sogar
Innenminister war? Der Mann, der als gestandener US-Politiker von seinem unerbittlichem 48er Widersacher Bismarck 1868 in Berlin zum Gespräch empfangen wurde?
Auf der Website des „Carl-Schurz-Kreises Erftstadt e.V.“ steht dazu:
„Otto von Bismarck stand der Revolution von 1848/49 äußerst feindselig gegenüber und wollte Carl Schurz verhaften lassen. Umso erstaunlicher ist, dass sich beide viele Jahre später zum
politischen Austausch in Berlin trafen.“
Völlig klar, das Buch kaufte ich. Leider fehlte Band I. Was soll’s? Irgendwann will es der Zufall und auch den Band würde ich irgendwie erwerben können.
Der Zufall lauerte schon hinter der nächsten Zeit-Ecke. Die DDR begann sich Ende der 70er Jahre Bismarcks ein Stück positiver zu erinnern, selbst Karl May wurde aufgelegt und verfilmt. Bereits
1977 erschienen im Verlag der Nation Schurzens „Sturmjahre“ und „Unterm Sternenbanner“ in der ersten Auflage, von denen ich bis dahin nichts mitbekommen hatte.
Doch 1981 stand irgendwo zu lesen, dass die zweite Auflage den interessierten DDR-Bürger erneut erreichen können würde. Ich ging auf die Jagd und hatte Erfolg. Nach kurzer Durchsicht sah ich bis
auf die übliche sozialistische und klassenkämpferische Einführung keine Veränderungen am Text gegenüber dem Original von 1907.
Als Bonmot hier die letzten Sätze der DDR-Einführung in sozialistischer Klassik:
„Auch die Tragik seines Lebens ist in dem unbeirrbaren Festhalten an den Idealen von 1848 begründet, in seinem Glauben an die bürgerliche Demokratie und seiner ‚idealen Auffassung der
amerikanischen Republik als Hoffnung und Führerin der freiheitsliebenden Menschheit‘. Wenn sich diese Auffassung auch als trügerisch erwies, so ehrt sie doch einen Mann, dessen Lebenserinnerungen
die Hoffnungen und Enttäuschungen der Revolutionäre von 1848 widerspiegeln, zu deren führenden Vertretern Carl Schurz gehört.“
Geschrieben hatte diese Einleitung der Schriftsteller und Herausgeber Joachim Lindner. Ohne Herrn Lindner zu kennen, wagte ich damals die Vermutung, den Sermon mußte er so schreiben. Anders hätte
er Carl Schurz vor den Zensoren nicht schützen können. Was mich sofort ans Hier und heute denken läßt. Ohne ein Selbstbekenntnis zu Haltung und gegen rechts haben es im Deutschland des Jahres
2025 schon wieder Menschen schwer, Bücher verlegen und Artikel im Mainstream veröffentlichen zu können. Schmeckt das eklig!
Nun zum Anlaß dieses Artikels. In den letzten Tagen stürmten Meldungen über Trumps „Säuberungen“ durch das Netz. Von „Blutbad“ war sogar die Rede:
„Alle Bundesanwälte, die die Fälle vom 6. Januar behandeln, wurden gefeuert, Computer gesperrt und vom Sicherheitsdienst aus ihren Büros geworfen. David Sundberg, der FBI-Assistentendirektor an der Leitung der Untersuchung am 6. Januar, wurde gefeuert.
20 Leiter
der FBI-Büros wurden aus FBI-Gebäuden im ganzen Land eskortiert. Den 51 Geheimdienstagenten, die Desinformation auf Hunter Bidens Laptop verbreiten und sich in die Wahl eingemischt haben, wurde
der Betritt in Bundeseigentum verboten. John Bolton und John Brennan wurden dauerhaft von Regierungsgebäuden verbannt. Jarold Harold Rogers wurde angeklagt, weil er US-Handelsgeheimnisse in China
kompromittiert. Alle 2 Millionen Bundesagenten haben ein Rücktrittsangebot abgegeben. “ Usw.
usf.
Ich für meinen Teil verstehe die Aufregung nicht. Donald Trump zieht durch, was US-amerikanische Praxis nach Regierungsübernahmen ist. Jedenfalls nach Regierungsübernahmen durch die jeweils
andere Partei. Demokraten wie Republikaner tun das und bereits die Vorgängerparteien der Demokraten und Republikaner praktizierten das.
Schon Old
Carl Schurz kritisierte diese Praxis als „Beutesystem“ und „Krebsgeschwür“ der US-Demokratie. „1869 wird er nach einem heftigen Wahlkampf Senator von Missouri. Bald darauf hält er zu der
‚Civil Service Reform‘ seine erste große Rede im Senat, deren Ziel ‚eine gewisse Änderung in den Methoden der Ämterverteilung‘ war, d. h. eine — wenn auch noch gebändigte — Kampfansage an das
‚Beutesystem‘“ (Carl Schurz und die Deutschamerikaner; Aus Politik und Zeitgeschichte 12/79.
Ich erinnere mich auch des Wechsels von Donald Trump zu Joe Biden 2021. Auch vor vier Jahren wurde vom „Blutbad“ gesprochen. Zugegebenermaßen nicht so laut und anklagend wie im heute umgekehrten
Fall von Biden zu Trump.
Demokraten wird halt hierzulande generell ein Gutmenschbonus gegenüber dem Bösmenschmalus von Republikanern eingeräumt, doch zu lesen war das „Säubern“ der Verwaltung von tausenden Trumpisten
auch hierzulande, im Kleingedruckten.
Es gehört praktisch zum US-Allgemeinwissen, wer sich in die Verwaltung begibt, tut dies vielleicht für vier Jahre, wenn er Glück hat und die jeweilige Partei wird vom Wähler im Mandat belassen,
dann können es acht oder mehr Jahre werden. Besser, man richtet sich auf maximal vier Jahre ein.
Beim Lesen Carl Schurzens Kritik an dem Beutesystem vor vielen Jahren gab ich ihm recht. Das Beutesystem kann nicht gut sein. Inzwischen bin ich jedoch weiter, konnte selbst zwei Jahrzehnte
Erfahrung im Maschinensaal der Demokratie sammeln.
In Deutschland gibt es das Beutesystem als sofort erkennbare Praxis nicht. Hier gilt bzw. galt bis vor Merkel „Der Verwaltung kann es egal sein, wer über ihr regiert. Die bleibt immer“. Diese
Sicht gefiel mir viele Jahre. Verwaltung als Dienstleister. Die Politik wird von den gewählten Politikern gemacht. Soweit die Theorie.
Doch inzwischen hat sich das alles verselbständigt. Sehr oft werden seriöse Verwaltungs- und Finanzexperten durch loyale Parteimitglieder ersetzt. Der gesamte Apparat ist zum Parteienapparat
verkommen. Was auf den Schreibtischen der Minister landet, ist vorher durch die Köpfe, Kugelschreiber und Tastaturen von Partei- und Glaubensgenossen gegangen. Und: das wird von Wahl zu Wahl
schlimmer!
Vergleiche ich das US-Beutesystem mit dem unsichtbaren Beutesystem der Bundesrepublik, dann sage ich heute zu Carl Schurz
„Lieber Kampfesbruder für die Freiheit, die Nachkommen der mutigen und kreativen europäischen Auswanderer in die Neue Welt hatten das besser organisiert. Ehrlicher, besser, nachvollziehbarer.
Was die US-Amerikaner mit viel Knirschen offen praktizieren, was tatsächlich auf den ersten Blick nicht gut schmeckt, das ist allemal besser als das Verborgene Ausrichten des Staates auf Parteien
wie in Deutschland.“