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Verteidigung der Zivilisation

Verteidigung der Zivilisation -  Chaim Noll/Heinz Theisen

Mit Spannung und Interesse nahm ich das Buch in die Hand. Steht der Buchtitel doch genau für das, was ich seit vielen Jahren mit nahezu gleichen Worten sage und schreibe. Das Schicksal des freien Westens entscheidet sich mit dem Gedeihen oder Verderben Israels. Ich beglückwünsche Chaim Noll und Heinz Theisen zur Idee, die Gefährdung Israels und Europas durch die islamistische Bedrohung fundiert und ohne Schaum vor dem Mund in Buchform dazulegen.

Nach unserer Überzeugung ist Israel ein Frontstaat des Westens, der seine innere Vielfalt gegen die heilige Einfalt von Gotteskriegern verteidigen muss. … Um zu erkennen, was für Europa auf dem Spiel steht, genügt ein Blick zurück. Die Städte in der heutigen Türkei waren einst von Griechen, Armeniern, Assyrern und anderen nichttürkischen Völkern gebaut und bereichert worden. Nach ihrer gewaltsamen Islamisierung gibt es in diesen Städten fast keine Christen mehr, nur noch 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung der Türkei sind Christen und Juden.“ (S.11).

Aus dem Verständnis dieser globalen Bedrohung ergäben sich neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den Weltmächten, den USA, China und Russland, die bei aller Verschiedenheit ihrer Strukturen und Ideologien an einer Stabilität der Zivilisation interessiert sein müssen.“ (S.12).

Soweit unterschreibe ich bisher jeden dieser Sätze und komme an einen für mich neuralgischen Punkt im nächsten Zitat:
Die größte Schwäche Europas liegt in der Verleugnung der Gefahr durch den global operierenden militanten Islam. Während der Westen meint, sich im Krieg zwischen dem nationalen Souveränitätsanspruch der Ukraine und dem imperialen Ansprüchen Russlands auf die Seite der Ukraine stellen zu müssen, scheut er den Kampf, geschweige denn den Krieg mit dem Islamismus.“ (S.12).

Absolut richtig liegen die Verfasser mit der weltweiten Bedrohung durch den militanten Islam. Aus dem Gleis gehe ich bei der indirekt angedeuteten Unterscheidungsnotwendigkeit des nationalen Souveränitätsanspruchs der Ukraine vom in diesem Satz nicht angesprochenem nationalen Souveränitätsanspruch Israels.

Ob die Verfasser es so meinen oder nicht, als jemand dem der 1968er Einmarsch und das Ermorden des Prager Frühlings in der CSSR durch den imperialen Anspruch der russisch angeführten Sowjetunion noch immer in den Knochen steckt, komme ich ins Stolpern. Für mich kämpfen Israel und die Ukraine, was den nationalen Souveränitätsanspruch und die westlichen Werte angeht, denselben Überlebenskampf. Verliert Israel, verliert die westliche Zivilisation. Verliert die Ukraine, rückt nicht uns nicht nur der KGB-Staat Russland auf den Pelz, sondern mit ihm kommen dessen islamistische Verbündete in Grosny, Teheran und Sanaa ebenfalls an die EU-Aussengrenzen.

Die Feinde Israels sind weitgehend auch die Feinde der Ukraine. Russland ist seit 1948 eine Speerspitze gegen Israel, Russland spielt dieses Spiel heute wieder so ungeniert wie zu Sowjetzeiten. Iran, Hisbollah, Hamas und Huthis sind dabei Verbündete. Russland verwüstet die Ukraine mit Hilfe iranischer und nordkoreanischer Waffen. Käme Russland wie einst die Sowjetunion mit Gorbatschow von sich aus wieder näher an die universellen Werte der Menschheit heran, dann gäbe es die Chancen der von den Autoren erhofften Kooperation der Weltmächte USA, Russland und China. Doch ist das sehr momentan unsichere Zukunftsmusik.

Zurecht beklagen die Verfasser, dass der Westen der Ukraine hilft und dem Kampf gegen den Islamismus ausweicht. Der Westen sollte hinsichtlich der Bekämpfung des Islamismus denselben Mumm wie in der Unterstützung der Ukraine aufbringen. Diesen Gedanken vermisse ich im Buch.

Stattdessen entsteht der Eindruck, Gorbatschows Beenden der „Breschnew-Doktrin“ und dessen „Sinatra-Doktrin“, die nicht nur der Deutschen Einheit und dem „Zwei plus Vertrag“ den Weg freimachte, sondern auch indirekt zum „Budapester Memorandum“ und der Garantie für die freie Ukraine führte, sei eher nebensächlicher Natur gewesen. Dabei steht der Westen doch auch gerade hier vor demselben Glaubwürdigkeitsproblem wie im Fall Israel. Beide Staaten bekommen leichter warme Worte als stringente Hilfe.

Das soll es jetzt mit meinen kritischen Anmerkungen gewesen sein. Das Buch ist wichtig und beide Verfasser legen Israels Bedeutung für die menschliche Zivilisation so klug wie faktenreich dar.

Das Inhaltsverzeichnis gibt Einblick und macht Appetit:
Einleitung Israel als Menetekel oder Modell?
Der revolutionäre Islamismus in der Weltordnung
Die Grenzen Israels als Grenzen Europas
Noch ist Israel nicht verloren
Zivilisierung und Selbstbehauptung
Europa und der Nahe Osten in einer multipolaren Welt
Anmerkungen

Die Demokratie ist das Dach, welches erst auf errichtete Stockwerke aufgesetzt werden kann. Ohne diese Stockwerke wie Säkularität, Rechtsstaatlichkeit, korrekte Verwaltung, ausreichende Bildung endet der demokratische Wettbewerb im Bürgerkrieg und das Mehrheitsprinzip in der Unterdrückung von Minderheiten.“ (S.25/26). Chaim Noll verweist damit auf eine fundamentale Voraussetzung im Umgang mit Staaten/Bevölkerungen, für die Absolutheitsansprüche auf ein heiliges Land oder auf religiöse Herrschaft das Primat setzen. Es genügt eben nicht Diktatoren zu beseitigen und dann die jeweilige Region ihrem Schicksal zu überlassen. Afghanistan, Libyen, Irak stehen für von vornherein gescheiterte Interventionen. Aus den Trümmern von Diktaturen wachsen nicht zwangsläufig Demokratien. Eher im Gegenteil. Wo Mehrheiten fundamentalistisch-religiös geprägt sind, sind keine Wahlausgänge von demokratischen Siegern zu erwarten. Die Sieger werden fundamental-religiös sein. Gemäß den Spielregeln der Demokratie.

Ägypten erlebte 2012 einen innerstaatlichen teilweise sehr gewaltsamen Wechsel vom Autokraten Mubarak zum demokratisch gewählten Wahlsieger Mursi, einem archaischen Muslimbruder. Ägypten war damit auf dem Weg zu einem Scharia-Staat. Das mögen Muslime schätzen, der freie Westen sollte schaudern. Demokratie wirkt nicht als Allheilmittel, wenn der Unterbau nicht säkular, nicht rechtsstaatlich, nicht korrekt verwaltet und die Bevölkerung nicht ausreichend gebildet ist. Eine bittere Pille. Recht hat Chaim Noll.

Noll weist nachdrücklich auf die Gefährdung der Freiheit durch grenzüberschreitenden Terror, Drogen- und Menschenhandel und den Verfall staatlicher Macht hin. Autoritarismus scheint dagegen als kleinere Gefahr. Und „wenn der Westen dann wie in Libyen auf Nation Building verzichtet, endet alles in einer Anarchie, die Flüchtlingsströme aus Afrika nach Europa unter entsetzlichen Bedingungen möglich gemacht haben“ (S.25).

Der Weg zur Herrschaft ist nach Blumenthal folgend gepflastert:
Einwanderungskrieg – Bildungskrieg – Ideologischer Krieg – Kommunikationskrieg – Psychologische Kriegsführung – Lawfare. (S.28).

Lawfare ist dabei die tückischste Strategie der Islamisten, indem sie die Instrumente des modernen Rechtsstaates gegen diesen verwenden. „Wenn alles andere fehlschlägt, werden die Befürworter des radikalen Dschihad Verfassungsgesetze gegen uns verwenden, indem sie sich auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit berufen.“ Da hat der naive Demokrat wenig Chancen, sich zu wehren. Jedenfalls, wenn er bereits die anderen Etappen nicht durchschaut.

Heinz Theisen besitzt den Mumm, den Islamismus als das zu bezeichnen, was er ist: der Totalitarismus des 21. Jahrhunderts (S.79). Gleichzeitig markiert er Israels Grenzen als die Grenzen Europas. Das Buch sollte in der Brüsseler Aristokratie gelesen werden. Von dort fließt auch ständig Geld in die Terroristenzentren des Nahen Osten statt in die Freiheits- und Demokratiesicherung Israels.

Der Westen hat dem religiösen Totalitarismus noch auf die Sprünge geholfen, indem er autoritär-säkulare Feinde der Islamisten wie Saddam Hussein oder Gaddafi beseitigte. Auch in der Schwächung Assads und dem Fallenlassen des Schahs oder Mubaraks, mit der Demokratisierung Afghanistans und des Iraks zeigte sich die naive Unterschätzung des neuen Totalitarismus. … Der verharmlosend so genannte Nah-Ost-Konflikt ist längst in den Kampf der Kulturen, in den des Totalitarismus gegenüber moderaten Regimes übergegangen.“ (s.79/80). Der Vernichtungskrieg gegen Israel ist Teil des Kampfes für die Weltherrschaft des Islam.

Der totalitäre Islamismus ist mindestens so gefährlich wie es Faschismus oder Kommunismus waren. Anders als der westliche Totalitarismus vermögen Islamisten nämlich sogar noch den Tod zu instrumentalisieren.“ (S,81).

Dem ist nichts hinzuzufügen, außer dem Gedanken, hätte nicht statt des „Faschismus“ im Satz „Nationalsozialismus“ besser gepasst? Als exOstzonenbewohner wie mir kommt da immer Stalin hoch, der die Sozialdemokratie als rechten Steigbügelhalter des Imperialismus denunzierte – Stichwort Sozialfaschisten. Auch hieß die Berliner Todesmauer „Antifaschistischer Schutzwall“ und die Bonner Ultras galten in den ersten Zonenjahren als Faschisten. Zum Jahresende 1989 warnten SED und MfS vor dem wieder aufkommenden Faschismus und meinten damit die demokratischen Revolutionäre, die die deutsche Einheit anstrebten.

Heinz Theisen markiert das Jahr 2009 als die letzte Chance, die Hamas zu zerstören. Recht hat er! Doch international waren die arabischstämmigen Wähler schon längst wahlpolitische Faktoren. Gerade in den USA sind die inzwischen so stark, dass es gefährlich für die Welt geworden ist. In diesem Zusammenhang weise ich auf die im Rückblick tragische Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten hin. Mit ihm kam ein Aufschwung des Islam und speziell des Islamismus, der aus meiner Sicht von der Arabellion direkt in den 7. Oktober 2023 führte. Theisens Kritik an den Vereinigten Staaten, die ich an andere Stelle nicht teile, unterstreiche an diesem Punkt umso deutlicher.

Israels Herausforderung zwischen der immens wachsenden Zahl muslimisch/militanter Araber um den wehrhaften Zwergstaat herum und der messianischen Bedrohung innen ist schwer vorstellbar. Wie soll so ein kleiner, von sehr intelligenten Menschen bewohnter Staat mit all der Weltoffenheit vieler seiner Bewohner unter diesen Umständen überleben? Und wenn es „nur“ ums Überleben ginge – Israel gehört zu den weltweit führenden Hightech-Ländern. Ob es die Gegner wollen oder, das Israel zieht die Welt mit in Wissenschaft und Technik nach oben, während seine Gegner dieselbe Welt unter unermesslichen Blutvergießen in archaische und barbarische Zeiten stoßen wollen.

Jüdischer Messianismus als Bedrohung von innen (S.114 Theisen)
Die jüdisch-messianische Fixierung auf die Landnahme in ‚Judäa und Samaria‘ und deren notwendiger Schutz lenkten Israel von der Bedrohung aus dem Gaza-Streifen ab. Das messianische Judentum schwächt Israel von innen. Die ultraorthodoxen Juden verweigern den Wehrdienst und erheben zugleich Ansprüche auf soziale Leistungen.“ (S.114 Theisen).

Dies entspricht auch meiner Beobachtung. Dennoch fällt es mir seit dem 7. Oktober 2023 schwer, den Wunsch des messianischen Judentums nach Samaria und Judäa als vermessen und falsch zu kritisieren. Im Licht der sich anbahnenden Neuordnung des Nahen Ostens und vor allem im Hinblick auf die momentan leuchtende neue Regionalmacht Israel, bin ich geneigt, Benjamin Netanyahu und seinen Regierungspartnern Klugheit, Konsequenz und Weitblick in historischem Ausmaß zu konzedieren.

Israel braucht um des Überlebenswillens Pufferzonen rund um sein kleines Staatsgebiet. Die biblischen Landschaften Judäa und Samaria sind neben dem Gaza-Streifen und den Golanhöhen perfekte Pufferzonen. Aus diesen israelisch besetzten und bewohnten Pufferzonen erwachsen den Nachbarn keine Kriegsgefahren wohl aber Chancen auf Frieden und eine friedliche Entwicklung.

Bei Drucklegung dieses Buches waren solche Entwicklungen noch nicht absehbar. Diese Tatsachen schufen die Israelis erst seit dem Spätherbst 2024. Theisen und Noll konnten sich dazu im Buch noch nicht so deutlich äußern.

Heinz Theisens Plädoyer zur notwendigen Kooperation der Weltmächte auf der Basis eines Minimalkonsenses der Bewahrung zivilisatorischer Parameter ist aktueller denn je. „Sie können ihre Macht und Kulturen nur erhalten, sofern sie die zivilisatorischen Voraussetzungen dafür erfüllen. Eine drohende weltweite Barbarei ist nur im Interesse der Barbaren selbst.“ (S.240).

Kooperation mit Israel: Die Zukunft der arabischen Staaten (Chaim Noll)
Es gehört zu den vielen gravierenden Fehlern … der Administration des scheidenden US-Präsidenten Biden, dass 2021 die Sanktionen gegen die Huthi ausgesetzt wurden… . Auch die Behinderung der saudischen Versuche, die Huthi an der Übernahme weiterer Gebiete im Jemen zu hindern, erweist sich als schwerer Fehler“.(S. 199).
Chaim Noll Beurteilung Joe Bidens ist treffend. Dessen gesamte Nahost-Politik war ähnlich wie die seines Vorvorgängers Barack Obama schlicht verheerend und im deutlichen Gegensatz zur ständigen und überall postulierten angeblich eigenen Nachhaltigkeit. Nicht die Friedenschancen der Trumpschen Abraham Accords wurden nachhaltig gestärkt. Nachhaltig wurde die Kriegsgefahr durch Hamas, Hisbollah, Huthis und Iran befeuert.

Um es salopp zu sagen, unter Trump wäre weder Putin 2022 nach 2014 erneut in die Ukraine eingefallen, noch hätte die Hamas den Überfall am 7. Oktober 2023 gewagt. Das schreibt Noll so nicht deutlich. Ich bin mir dessen sicher. Frieden wird in der realen Welt durch Stärke gesichert. Der Starke ist in der besseren Verhandlungsposition.

Ich empfehle das Buch „Verteidigung der Zivilisation“ von Chaim Noll und Heinz Theisen dringend. Allein die Schilderung des israelischen Mikrokosmos im Kapitel 3 „Noch ist Israel nicht verloren“ macht das Buch neben den umfangreichen Betrachtungen zu Israel in und für die zivilisierte Welt zu einer wichtigen Nachschlagequelle.

Beide Autoren mir punktuell andere Sichten nachsehen. An beider qualitativ hochwertiger Legitimation zur Behandlung des Themas besteht für mich kein Zweifel.


Chaim Noll/Heinz Theisen „Verteidigung der Zivilisation“, OLZOG edition, lauverlag 2024, ISBN 978-3-95768-265-9, 247 Seiten