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Katja Adler: Freiheit in Gefahr

 

 

 

 

Gerold Hildebrand 

 

Katja Adler: Rolle rückwärts DDR? Wie unsere Freiheit in Gefahr gerät. Erinnerungen einer ostdeutschen Politikerin. Für Meinungsfreiheit, Demokratie; gegen Verbote, Einschränkungen. FinanzBuch Verlag  2024. ISBN 978-3959728065

https://www.amazon.de/Rolle-rückwärts-DDR-Meinungsfreiheit-Einschränkungen/dp/3959728069

 

https://www.google.de/books/edition/Rolle_rückwärts_DDR/QvQYEQAAQBAJ?hl=de&gbpv=1&pg=PT3&printsec=frontcover

 

 

Vorbemerkung

 

Katja Adler, sozusagen zur „Dritten Generation Ost“ gehörend, hat gegenwärtige Konflikte in Politik und Gesellschaft vor der Folie der Verhältnisse im SED-Staat analysiert. Dabei geht sie von einer liberalen Sichtweise aus, die sich eng an den Rechtsgrundlagen der bundesdeutschen Demokratie orientiert. Ihre Kernfrage lautet: Werden diese schleichend zur Disposition gestellt?

Ihren Fokus richtet sie dabei hauptsächlich auf die Medien.

Unterfüttert sind alle ihre Betrachtungen mit Belegen, die sie im ausführlichen Anmerkungsapparat auflistet.

 

 

Vom Vergleichen

 

„Rolle rückwärts DDR? Wie unsere Freiheit in Gefahr gerät.“ Deutet ein solcher Buchtitel nicht auf eine geschichtsrevisionistische, provokante oder gar verschwörungstheoretische Abhandlung hin? Was will uns eine, die ihre ersten 15 Lebensjahre in der DDR verbrachte, damit sagen? Kann sie das Leben im SED-Staat überhaupt beurteilen?

Selbstverständlich, auch über das Mittelalter könnte sie urteilen und Vergleiche anstellen, um zu sensibilisieren wie jeder, der den demokratischen Pluralismus in Gefahr sieht. Vergleiche sind keine Gleichsetzungen sondern machen Unterschiede und Gemeinsamkeiten sichtbar.

Im Vorwort schon stellt die FDP-Bundestagsabgeordnete klar, dass ein Vergleich mit den Lebensumständen in der ehemaligen DDR zulässig ist wie jede Komparatistik, damit jedoch keine a priori Gleichsetzung einhergeht.

 

Eine Umfrage 

 

Woher rührt die zunehmende Unzufriedenheit so vieler Deutscher? Dieser Entwicklung, die sich in alarmierenden Wahlergebnissen niederschlägt, will die Autorin nachgehen.

Als sie keine aussagekräftige Statistik findet, gibt die Autorin selbst eine Umfrage bei INSA in Auftrag. Das Ergebnis lässt aufhorchen: Fast jeder Zweite Ex-DDR-Bürger (46 Prozent) fühlt sich bei manch heutiger Entwicklung an die DDR erinnert. Das Testitem lautete: „Was sich heute in der Bundesrepublik Deutschland negativ entwickelt, erinnert mich an die DDR.“ Selbst bei denen, die sich eher links positionieren, stimmt ein Drittel dieser Aussage zu. Das sind noch halb so viele wie bei denen, die sich eher rechts positionieren.

Was bedrückt die Befragten am meisten?

  • 71 Prozent beklagen zu viele Vorgaben des Staates bezüglich der Lebensweise der Bürger
  • 68 Prozent haben Angst, die eigene Meinung zu äußern,
  • 60 Prozent nehmen den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk wahr als staatsnah (ampelgerecht propagierend) und einseitig linksgrün, also nur einer politischen Richtung und Ideologie folgend,
  • 56 Prozent beanstanden zu viele staatliche Einriffe in die Wirtschaft.

 

Dabei waren die Erwartungen dunnemals 1990 groß, denn 81 Prozent stimmen der Aussage zu: „Nach der friedlichen Revolution in der DDR hatte ich die Hoffnung, dass vieles besser wird.“

Hier zeigt sich, dass die derzeitige Unzufriedenheit nicht zwangsläufig mit einer autoritären Prägung und angelernter Freiheitsunfähigkeit in der kommunistischen Diktatur zu tun hat. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk vertritt in „Freiheitsschock“ eine gegenteilige These.

Das Fremdeln einer gehörigen Anzahl der in Ostdeutschland Sozialisierten gründet aber nicht zuletzt auf einem doppelten Heimatverlust. Nicht, dass diese etwa das politische System der DDR zurück sehnen würden, aber ein Verlust von manch alltäglich Vertrautem und der Zwang zur Neuorientierung überforderte, zumal rasante gesellschaftliche Veränderungen (zum Beispiel durch technische Innovationen oder unkontrollierte Zuwanderung) das soeben neu vertraut Gewordene erneut zur Disposition stellen. Und für die Masse der Vorgängergeneration blieb die sozialistische DDR und die deutsche Teilung ein einziger Heimatverlust, mit stets sehnsuchtsvoll in den (erträumt bleibenden) Westen gerichtetem Blick. Hinzu kommen noch Vertreibungserfahrungen. Unbehaustheit und Identitätsunsicherheit führen eher zu Distanz als zu Identifikation. Das ist jedoch nicht Thema des Buches. Katja Adler benennt aber den Umstand, dass Gefühle wirkmächtig sein können und Diktatursozialisierte sensibler und frühzeitiger auf empfundene und tatsächliche Freiheitseinschränkungen reagieren, weil es sie an etwas erinnert, was sie schon einmal erlebt haben.

 

Corona als Einstiegsdroge?

 

Gleich im ersten Kapitel erzählt Katja Adler, die ab 1974 in Eisenhüttenstadt/Brandenburg aufgewachsen ist, wie sie zu Ostern 2020 aus Rheinland-Pfalz kommend ihren Vater besucht, obwohl das streng untersagt war. Nicht einmal eine Behörde gab es, die Ausnahmegenehmigungen hätte erteilen können. Lockdown für alle. Gleichheit wie im Kommunismus: ohne Freiheit und individuelle Verantwortungsübernahme. Und natürlich sind manche Tiere immer gleicher als andere.

Sie stellt nach Ankunft ihr Auto sichtgeschützt auf dem väterlichen Grundstück ab. Damit sie niemand verpfeift.

Das erinnert an Besuche von Westverwandten in der DDR, die sich eigentlich nur bei der gemeldeten Besuchsadresse aufhalten durften. Wenn sie im Nachbardorf weitere Verwandte besuchen wollten, wurde das Westauto besser hinter dem Haus versteckt, damit der örtliche Volkspolizist oder der Genosse Nachbar, der hauptsächlich in der führenden Partei SED lebte, nicht aufmerksam wurden und petzten.

Unter dem Eindruck des raschen Einbruchs bürgerlicher demokratischer Grundrechte während der Pandemie entstand die Idee zum Buch. Aus Fehlern in der Vergangenheit sollte gelernt werden.

Gab es in der planwirtschaftlich organisierten DDR zwar auch manchmal kein Toilettenpapier, so war dieser Engpass diesmal konsumentenerzeugt: Hamstern, das einerseits durch Erzählungen über Nachkriegszeit und Sozialismus geschürt wurde, andererseits durch von Politikern in Medien verbreitete Panik.

Schwerwiegender, so die Autorin, waren jedoch Freiheitseinschränkungen und das Unterdrücken jeglicher Kritik an den raschen politischen Zwangsmaßnahmen, Stigmatisierungen inklusive. Adler schildert hier ganz unaufgeregt ihr eigenes Erleben.

Nun mag manch Leser einwenden, dass das ja nun vorbei sei und sich die Demokratie nicht in eine Diktatur verwandelt habe, wie manche Scharfmacher prophezeit hatten. Verletzungen und Politikerverdrossenheit bleiben dennoch und dies gilt es wahrzunehmen, um die wachsenden Spaltungen in der Gesellschaft zu verstehen.

Eine „Haltungsfilterblase“ ähnlich der in der DDR glaubt die Autorin in der Berichterstattung während der Corona-Pandemie ausmachen zu können. Freilich mit dem Unterschied, dass es heute keine regierungsamtlichen Vorgaben und Sanktionen gibt. Allerdings glauben Journalisten sie hätten statt eines Informations- und Bildungsauftrag einen „Erziehungsauftrag“, der ihre eigene Weltsicht beförderen soll. Fakt bleibt, dass das Vertrauen in die staatlichen Medien in dieser Zeit bedenklich abnahm. (S. 188)

 

Linksextremismus

 

Im Eingangskapitel geht es gleich weiter mit den Anfang des Jahres deutschlandweit ins Werk gesetzten Aufmärschen „gegen rechts“, für die auf allen Kanälen mobilisiert wurde. (S. 14 ff.) Wer zugleich auf Gefahren durch einen Extremismus von links oder den „religiösen Fundamentalismus“ hinwies, wurde nicht nur zurückgewiesen sondern verunglimpft. Selbst Antisemitismus wird hauptsächlich in seiner rechtsextremen Ausprägung wahrgenommen. Mit dieser Einschätzung vertritt die Autorin eine leider rarer gewordene antitotalitäre Position.

Die Autorin stellt fest: „Auf etlichen Plakaten und Transparenten und von Rednern bei diesen Demonstrationsveranstaltungen wurden auch Freie Wähler, Unionsparteien oder FDP des Rechtsradikalismus bezichtigt – oder gleich die gesamte Ampel-Regierung.“ Sie sieht darin eine gefährliche Verzerrung von Fakten. Der einst als legitime politische Standortbestimmung genutzte Begriff „rechts“ wird von Linksradikalen in diffamierender Absicht zunehmend mit rechtsextrem gleichgesetzt.

 

Antikapitalismus

 

Auf Seite 20 bespricht die Autorin den Antikapitalismus, der zunehmend salonfähig wird (und übrigens ein Merkmal sowohl von Links- als auch Rechtsextremismus ist, und auch Islamisten lehnen eine soziale Marktwirtschaft ab). Das erste Kapitel liest sich wie ein guter Essay und beinhaltet einen kurzen Problemaufriss aus der Sicht einer auf Freiheit, Verantwortung und Individualität pochenden Liberalen für die „der süße Klang sozialistischer Verheißungen“ die „Rolle rückwärts in die DDR“ bedeuten.

 

Exkurs in die Geschichte 

 

Der folgende Exkurs in die Geschichte, erst einmal der Weimarer Republik unter - was Wunder - besonderer Berücksichtigung der parteipolitischen wirtschaftsliberalen und sozialliberalen Wurzeln der FDP wirkt zunächst wie ein Abdriften weg vom Hauptthema.

Kommt die Autorin auf die DDR zu sprechen, mahnt sie an, den Opfern der Diktatur zuzuhören. „Vergleichsempfindungen“ mit Gegenwärtigem können allerdings nur Ostdeutsche haben, stellt sie vorab fest, um dann ihr eigenes Erleben in der DDR zu referieren.

Sie durchschreitet eine nicht ungewöhnliche, geradezu genormte Kindheit mit Pionierorganisation, Jugendweihe und FDJ. Ideologische Indoktrination inklusive und allgegenwärtig: die imperialistischen Kriegstreiber in der „BRD“ (Adler benutzt den SED-Begriff durchweg ohne Anführungszeichen) sind an allem schuld. Kurzzeitig besucht sie ein Sportinternat und wäre in eine Dopingkarriere geraten, hätte sie bessere Leistungen erbracht. Doch dann kam ohnehin das Revolutionsjahr 1989, das alles veränderte.

Am 7. Oktober war sie zum berüchtigten Fackelmarsch in Ostberlin delegiert und jubelte, sich fast schon als Dissidentin fühlend, inbrünstig Michail Gorbatschow zu.

Über Jugendwerkhöfe hörte sie Gerüchte, aber da kämen ja nur Schwererziehbare und Kriminelle hin, wird gesagt. Ob damals tatsächlich schon vom geschlossenen Kindergefängnis Torgau die vage Kunde ging, erscheint allerdings unwahrscheinlich. Erinnerungen sind nicht immer ganz zuverlässig. Der 17. Juni 1953 blieb ebenfalls beschwiegen.

Es folgt ein Exkurs über die staatlichen Medien in der DDR, die ein sozialistisches Weltbild vermitteln sollten. Adlers aber schauten wie die meisten DDR-Insassen ferner: ZDF und ARD.

Am Abend des 9. November mit seinem „Ansturm auf die Grenzen“ ist Katja in der Disco. Ein Raunen schwillt dort an, dann wird es still: Die Älteren haben sich aufgemacht Richtung Berlin. Die jugendliche Katja aber muss nach Hause. Vor dem Fernsehgerät ist das häufigste Wort „Freiheit“. Plötzlich war auch in der Schule eine Meinung gefragt und es durfte nicht nur getanzt sondern auch diskutiert werden.

Und das Begrüßungsgeld machte die DDR-Bürger gleicher, die sich vorher im Westgeldbesitz stark unterschieden.

Im folgenden geht es um die Entmachtung der Stasi und die nötige „Aufdeckung des Unrechts“ von Bespitzelung, Unterdrückung, Verfolgung bis Zersetzung.

Dann geht die Autorin mit den zur ersten freien Wahl 1990 angetretenen Parteien ins Gericht. Zunächst mit der SED-PDS, deren Erfolge in den neuen Bundesländern sie fortwabernder „Überzeugung“ und den Enttäuschungen über die Transformation zuschreibt (S. 78 ff.) Es fehlen hier jedoch Einschätzungen der Sozialdemokraten und der Liberalen.

Nach der D-Mark-Euphorie folgt die Umbruchszeit, „ernüchtert, planlos, arbeitslos“ im Osten, im Westen Stetigkeit und weit verbreitete Interesselosigkeit an den „Brüdern und Schwestern“ sowie Verärgerung über die Kosten der Einheit.

Alles in allem ein Kapitel, das einem Schullehrbuch zur Ehre gereichen würde.

 

Mangelhafte Diktaturaufarbeitung 

 

Es bleibt wichtig, zu wissen, woher wir kommen, um zu beurteilen und zu steuern, wohin wir gehen. Katja Adler widmet der geschichtspolitischen Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit ein eigenständiges Unterkapitel. Sie beklagt hier das Fehlen einer gemeinsamen Erinnerungskultur und deutet an, dass „Ostalgie“ zum Teil falsch verstanden wurde. Es folgt die banale Feststellung, dass Erinnerungen und Erfahrungen in die neue Zeit mitgenommen wurden. Tiefer steigt sie in die Problematik jedoch nicht ein. Dabei hatte der Rezensent dieses Kapitel mit Spannung erwartet.

 

Exkurs in die Verfasstheiten

 

Unterschiedliche Verfassungen und Verfassungswirklichkeiten kennzeichneten die beiden deutschen Staaten. Ebenso wie Rechtsstaatlichkeit und ökonomische Systeme differierten. Das erklärt die Autorin noch einmal ausführlich.

Doch hier wird es etwas ungenau, wenn die Autorin hervorhebt, dass es im Gegensatz zu fehlenden Individualrechten soziale Rechte in der DDR gegeben habe. Betriebsräte gab es in der DDR nicht und auch keine betriebliche Mitbestimmung, trotz papiernem Postulat in der Verfassung. Akklamatorische, parteiergebene Gewerkschaften waren im ganzen Ostblock Usus, was ja auch zur Gründung der Solidarność führte.

Adler hebt dann auf Beispiele ab, die im Einigungsprozess bewahrenswert gewesen wären wie ein einheitlicheres Schulsystem, das Abitur mit Berufsausbildung, um soziale und handwerkliche Kompetenzen der Heranwachsenden zu fördern und Kinderbetreuungseinrichtungen.

Was zur Frage der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern führt. Ohne Zweifel waren in der DDR Frauen vorteilhafter sozialisiert, da sie häufiger in Arbeit standen. Allerdings vernachlässigt die Autorin, dass die Mehrfachbelastung von Frauen durch Arbeit, Haushalt und Kinderbetreuung erst in den 80er Jahren und nur in großstädtischen und oppositionellen Milieus einem tradierten Rollenverständnis wich. In oppositionellen Kreisen wurde nicht nur feministische Literatur aus dem Westen zur Kenntnis genommen, sondern auch versucht, Gleichberechtigung in Partnerschaften zu leben, ohne die radikalsten Auswüchse, die bis hin zu einer regelrechten Männerfeindschaft führten, zu übernehmen. Die aufgezählten Mankos heutzutage stärker zu beheben, wäre eine Rolle vorwärts.

Scheinlösungen wie die Gendersprache lehnt die sich durchaus als Feministin verstehende Politikerin, die sich erfolgreich für Kinderbetreuungseinrichtungen in ihrer neuen hessischen Heimat Oberursel eingesetzt hat, ab, da diese eine wirkliche ökonomische Gleichberechtigung hinsichtlich Einkommen und Leitungstätigkeit nicht voranbringen.

Freiheitsgefährdend ist die Gendersprache nicht unbedingt, solange kein Zwang zum Neusprech besteht. Äußerst bedenklich wird es jedoch, wenn Benotungen in Bildungseinrichtungen von einer nicht dudengerechten Sprache abhängig gemacht werden. (S. 240) Oder wenn in Medien und staatlichen Verlautbarungen damit lediglich Fremdheitsgefühle verstärkt werden - bei männlichen und bei weiblichen Rezipienten.

 

Kampf um die Medien 

 

Das Compact-Verbot von Nancy Faeser im vergangenen Juli erinnert Katja Adler in gewisser Hinsicht an das Sputnik-Verbot 1988 in der DDR. Vermögenswerte aber konnten damals nicht beschlagnahmt werden, denn der Sputnik-Verlag lag in der Glasnost-Sowjetunion.

Ob dieses Beispiel jedoch als hinreichender Beleg dafür herhalten kann, dass eine links-grüne Minderheit die Deutungshoheit erlangt hat, sei dahingestellt.

Dass der Öffentlich-Rechtliche Rundfunk (ÖRR) „nicht als „Mikrofonständer“ für die Regierenden dienen“ sollte wie in der DDR, ist allerdings klar zu befürworten. Meinungsstreit und Debatten geraten zuweilen ins Hintertreffen. Der informierte Bürger ist mündig genug. Journalisten sollten dabei unparteiisch und faktengestützt moderieren. Eigentlich auch eine Binse, aber zunehmend gibt es Grund zur Sorge, wie die Autorin einschätzt. Ausführlicher geht sie in Kapitel 3 auf die Rolle der Medien ein. 

90% der Volontäre im ÖRR präferieren linke und grüne Parteien. (S. 141) Ist dies eine schleichende Unterwanderung, die an trotzkistischen Entrismus gemahnt? Oder Ergebnis einer anderen Wertevermittlung an den Schulen und Universitäten, die keine grundlegende Demokratieorientierung mehr vermitteln? Kürzlich zeigte übrigens eine weitere Umfrage ähnliche Ergebnisse bei festangestellten Journalisten.

Laut einer Langzeitstudie der Universität Mainz ist besonders unter Ostdeutschen (50%) das Medienvertrauen in das öffentlich-rechtliche Fernsehen seit 2016 gesunken. (S. 142) Meinungs- und haltungsfreier Journalismus ist seltener geworden. Die Autorin sieht Unabhängigkeit, Objektivität und Neutralität der Medien gefährdet und macht diesen Befund als Grund für das schwindende Vertrauen aus.

Zur Unterfütterung führt sie hier Beispiele an, zunächst eine Analyse von Bernd Stegemann zur Berichterstattung über Migration aus der Sendung „Monitor“.  (S. 145 ff.)

Es folgen weitere Hinweise auf tendenziöse Berichterstattung inklusive Diffamierung konservativer Meinungen und deren Abqualifizierung als rassistisch, „sexistisch“ oder überhaupt rechtsradikal. (S. 150 ff.)

Auf eine Studie von Fabian  Burkhardt gestützt, attestiert die Autorin den Leitmedien eine prorussische Berichterstattung in den Jahren 2013/2014. (S. 183)

Zu einer anhaltenden „Diskursverengung“ sei es 2015 im Rahmen der Zuwanderung gekommen. Hier beruft sich die Autorin auf eine Studie von Michael Haller. Islamistischer Antisemitismus wurde nur am Rande erwähnt, was sich selbst nach dem terroristischen Massaker der Hamas nicht änderte. (S. 186 ff.)

Mit Befremden nimmt die Autorin wahr, dass in der ARD nach dem Hamas-Überfall vom 7. Oktober 2023 von „palästinensischen Kämpfern“ die Rede ist statt von antisemitischen Terroristen. Gerade in puncto Islamismus-Verharmlosung und zunehmender Antisemitismus fällt es der Autorin leicht, entsprechende Beispiele zu finden. Auch im SED-Staat wurde übrigens Israel stets als Aggressor und Besatzer dargestellt, eine Parallele, die die Autorin jedoch nicht explizit benennt. Ohne Problembenennung bleiben Lösungsansätze außen vor.

In den Sendungen von Bosetti und Böhmermann macht Adler Klimapanik und dröge Erziehungsanmaßung aus (S. 157 ff.) Auf die Gefahren eines haltungsbasierten Journalismus hinzuweisen, ist nicht nur legitim sondern auch geboten, sollen demokratische, pluralistische und überparteilich ausgewogene Standards im ÖRR bewahrt bleiben. 

Im Fazit aber kann die Autorin keine generelle Manipulation, wie sie in der SED-Diktatur gang und gäbe war, oder eine grundlegend fehlende Meinungspluralität feststellen. Allerdings haben auch stark manipulative Sendeformate wie Bosetti und Böhmermann oder (andere) Quarks & Co. Fuß gefasst wie ebenso die Präsenz der Immergleichen (wie Lauterbach und Wagenknecht) in Talkshows.

Dass es für mittels „satirischer“ Desinformation Denunzierte durchaus zu existenziellen Konsequenzen kommen kann, zeigt die Autorin am Böhmermann/Faeser-Skandal im Falle Arne Schönbohm auf. (S. 170)

Die Autorin beklagt, dass häufig Personen - wie zum Beispiel AfD-Wähler - diffamiert werden und nicht Meinungen mit Argumenten begegnet wird. Das ist ihrer Ansicht nach zwar scheinbar einfacher, aber nicht zielführend, um eine unversöhnliche Spaltung der Gesellschaft zu vermeiden. Auch modern gewordene Meldeportale für Äußerungen und Handlungen, die nicht strafbar sind, sieht sie sehr kritisch, da diese eine Denunzianten-Unkultur fördern.

Auf die Rolle der neuen sozialen Medien inklusive Fake-Produktion und auf Existenzvernichtung abzielende Shitstorms geht die Autorin auf Seite 197 f. kurz ein. Stigmatisierung und Diffamierung führt nicht selten zu einer Schere im Kopf.

Dann folgt nochmals ein Exkurs in die DDR. Dabei geht sie auf den Umgang mit Andersdenkenden ein, denen Zersetzungsmaßnahmen der Staatssicherheit drohten. Die Folge war, dass Meinungen kaum noch geäußert wurden und Selbstzensur üblich war, da ein grundlegendes Misstrauen entstand.

Die Autorin zitiert hier die von Chaim Noll nach ihrem Tod dokumentierte Prophezeiung Bärbel Bohleys, von den Methoden der Stasi würde gelernt werden, sie würden nur subtiler angewendet werden. Inhaftierungen würden vermieden, aber Isolieren, Ausgrenzen und Mundtotmachen würden wiederkehren. (S. 205)

 

Freiheit

 

Am Ende ihrer Betrachtungen macht Katja Adler einen Linksruck bei den Mitte-Parteien aus, die sich weg von Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft bewegten. Dies auch in ihrer FDP, in der man sich zunehmend für wirtschaftsliberale Positionen rechtfertigen müsse. Auch demokratisch nicht legitimierten „Bürgerräten“ steht sie kritisch gegenüber.

Im Nachwort plädiert sie nochmals für Marktwirtschaft, Freiheit und die Bewahrung demokratischer Grundsätze.

In Abgrenzung zu kollektivistischen Konzepten der Grünen und Linken besteht Adler auf der Freiheit des Individuums und argumentiert gegen „Grenzen des (wirtschaftlichen) Wachstums“, ein Ansatz, den sie in seiner verzichtspredigenden und wirtschaftsfeindlichen Radikalität als wohlstandsgefährdend ansieht.

Auf der Internetseite der Diplom-Verwaltungswirtin heißt es: „Freiheit ist alles was zählt. Wer frei ist, kann handeln. Wer frei ist, kann entscheiden. Und doch gerät Freiheit mehr und mehr ins Abseits und mit ihr die Menschen, die an ihre Freiheit und die Freiheit anderer erinnern.“ Eine Sichtweise, die offensichtlich seltener geworden ist.

 In einer Zeit, in der politische und gesellschaftliche Krisen zunehmen, gilt es, sensibel für antidemokratische Tendenzen zu bleiben, auch wenn dazu nicht unbedingt eine persönliche Erinnerung an die verflossene SED-Diktatur vonnöten ist. Deshalb fordert die Autorin einen offenen Diskurs, ohne dass relevante Themen dabei tabuisiert werden. Ihr Buch könnte dazu beitragen.

Ob Katja Adler dem nächsten Bundestag wieder angehören wird, ist äußerst fraglich, denn sie erhielt diesmal keinen aussichtsreichen Listenplatz mehr.

 

Zum Autor: Gerold Hildebrand, geboren 1955 in Lauchhammer, ist Diplom-Sozialwissenschaftler. Er lebte in Ruhland, Templin und Jena und arbeitete seit Gründung 1986 in der Berliner Umwelt-Bibliothek mit. Nach 1989 war er Pressesprecher der DDR-Bürgerbewegung Neues Forum und Mitarbeiter der Robert-Havemann-Gesellschaft. Bis zum Renteneintritt arbeitete er in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Er lebt in Berlin-Prenzlauer Berg.