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Die Schlafwandler

 

 

 

 

Annette Heinisch


 

Ich fürchte, viele Deutschen werden sich nach der Wahl im Februar wundern, dass sich nix aber auch gar nix ändern wird….egal, wer Kanzler wird.” So schätzt Monika Gruber die Lage ein. Das ist auch meine Ansicht, es wird sich nichts ändern, allenfalls so homöopathisch, dass es kaum spürbar sein wird. Diese Einschätzung ist naheliegend, schaut man sich einerseits das politische Personal an, andererseits die Aufgabe, vor der es steht: Deutschland kann nur auf die Erfolgsspur kommen, wenn ein sogenannter U – turn vollzogen wird, eine Wende um 180 Grad. Wie soll das aber passieren? Wer hätte auch nur ansatzweise einen entsprechenden Plan und das Personal, dies zu bewerkstelligen?

 

Der Ökonom Dr. Daniel Stelter warnt schon länger davor, dass, wenn die Industrie erst einmal weg ist, sie nicht wiederkommen wird. Dann hat die Politik Deutschlands Wohlstand zerstört, und zwar “nachhaltig”. Er warnt nun, dass diese Wahlen die letzten sein werden, die das noch aufhalten könnten. “Mit Blick auf den Absturz der Wettbewerbsfähigkeit und den unmittelbar einsetzenden demografischen Wandel haben wir jedoch nur noch diese Chance, die Richtung zu ändern und einen anhaltenden, von Verteilungskämpfen geprägten Niedergang zu stoppen. Doch das politische Establishment scheint sich damit schon abgefunden zu haben.”

 

Tatsächlich gibt es den “point of no return”. Dies gilt speziell für die Industrie: Aufgrund des hohen Verlagerungsaufwandes für Produktionsanlagen gehen jene zuletzt. Aber dann sind sie weg und kommen nicht einfach wieder. Hier schwindet nicht nur der Wohlstand, sondern auch der Sozialstaat. Der ist davon abhängig, dass reichlich Geld erwirtschaftet wird, genug jedenfalls, um ihn sich leisten zu können.

 

Keine Regierung, sei sie auch noch so gut, wird dann noch helfen können. Die Dringlichkeit sehen viele, offenbar auch Ulf Poschardt, der zusammen mit Daniel Stelter neuerdings den Podcast “Make econonomy great again” produziert. Worte haben zweifellos Bedeutung, aber ohne ausführende Taten sind sie nichts. Javier Milei ist das beste Beispiel: Er hat zunächst Vorträge gehalten, den Menschen von den Ideen Hayeks berichtet. Wirksam wurde Milei aber erst, als er politisch tätig wurde.

 

 

 

Problem oder Chance?

 

Manche denken, man könne nichts tun, weil unser politisches System dieses nicht zulasse . Aber hilft ein Präsidialsystem oder ein Mehrheitswahlrecht wirklich? Ist unser System das Problem oder ist es eher eine Chance?

 

Stellt man einfach mal eine Gegenüberlegung an: Würde etwas besser werden, wenn eine Partei die absolute Mehrheit bekäme? Mit Sicherheit würde sich einiges ändern, aber würden wirklich die Probleme gelöst? Oder eventuell sogar verschärft? Und die gesellschaftliche Spaltung vertieft?

 

Es ist also klar, dass nicht die fehlende “Alleinherrschaft”, also ein Präsidialsystem oder zumindest ein Mehrheitswahlrecht, Kern des Problems ist. Übrigens erlebt man das auch im Vereinigten Königreich, dessen System derartige Politikwechsel theoretisch begünstigt. Praktisch geht es den Briten aber keinen Deut besser als uns.

 

Man kann auch die These aufstellen, dass unser System den Vorteil hat, dass selbst eine kleinere Partei großen Einfluss erlangen kann. Es ist nicht erforderlich, die Mehrheit zu bekommen, um einflussreich zu sein. Ist das nicht sogar ein Lichtblick?

 

 

 

Afuera!

 

Kein Lichtblick ist allerdings der Versuch, die komatöse FDP am Leben zu erhalten und zu hoffen, dass dann in einer Koalition mit der Union alles gut werde. Das ist Wunschdenken.

 

Das Prinzip Wunschdenken ist eine der wesentlichen Ursachen der fatalen Lage Deutschlands. Diese Denkweise, dass man mit den vorhandenen Parteien und ihren verkrusteten Strukturen die nötige “Schubumkehr” bewirken könnte, ist m. E. sogar erkennbar falsch.  Erkennbar, weil der Blick nach Argentinien eines Besseren belehrt.  Über Dekaden haben die dort herrschenden Parteien genau das versprochen, geliefert wurde nur mehr Elend. Die Umkehr kam nicht von den etablierten Parteien, den “Kirchneristen”, Peronisten oder der Unión Cívica Radical (UCR; Radikale Bürgerunion) und anderen. Sie kam erst, als eine revolutionäre neue Kraft Javier Milei die politische Bühne betrat.

 

Es ist ein auf der Hand liegendes Phänomen: Wenn Menschen gewisse Grundeinstellungen haben, daraus Konzepte und Rezepte ableiten, dann werden sie diese auch in Zukunft anwenden. Kein Mensch kann seine grundlegenden Überzeugungen einfach ändern, denn sie bieten ihm Halt und Orientierung. In gewisser Weise spiegelt das Sprichwort “„Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel” dieses Phänomen wider. Wer also die falschen Konzepte hat, wird sie immer wieder nutzen, auch dann, wenn sie erkennbar nicht funktionieren. Vielmehr wird die Methode “Mehr desselben” angewandt, eine Methode aus der “Anleitung zum Unglücklichsein”.

 

Wenn noch das enge Korsett verkrusteter Parteistrukturen hinzukommt, die aus intrinsischen Gründen einer Aufarbeitung und Wandlung nicht fähig sind, ist ein Wandel objektiv unmöglich.

 

“Afuera” ist daher die Devise Mileis, weg mit ihnen.

 

Neue Denkweise

 

Bekannt ist der Satz von Albert Einstein, dass man Probleme niemals mit derselben Denkweise lösen kann, durch die sie entstanden sind. Genau das wurde aber in Argentinien über Dekaden versucht, nun geschieht dies bei uns. Das wird nicht funktionieren; der Teufelskreis des Niedergangs wird so nicht durchbrochen werden.

 

Eine wirkliche Umkehr der Politik, die zu mehr Wohlstand und Sicherheit führt, wird auch in Deutschland nur gelingen, wenn es eine neue frische Kraft gibt, die zwei Voraussetzungen erfüllt:

 

  1. Sie darf nicht in alten Parteistrukturen verhaftet sein. Parteien derzeitiger Art sind Teil des Problems, nicht der Lösung. Nach dem Grundgesetz sollen Parteien lediglich an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken (Art. 22 GG). Es entsteht aber der Eindruck, sie hätten sich den Staat stattdessen zur Beute gemacht.

 

Eine neue Kraft muss also zunächst das strukturelle Parteienproblem lösen. Dazu gibt es bedenkenswerte Vorschläge, z. B. vom Team Freiheit. Diese beinhalten die Trennung von Partei und politischem Mandat; d. h.  Parteimitglieder dürfen nicht für ein politisches Mandat kandidieren. Man ist entweder in der Partei oder Mandatsträger. Damit werden verkrustete Parteistrukturen verhindert und qualifizierten Außenstehenden ermöglicht, ohne Parteiarbeit ein politisches Mandat zu übernehmen.

 

2.       Freiheit ist DER grundlegende Ausfluss der Menschenwürde schlechthin. Damit muss sie als ethischer Grundwert oberste Priorität haben und zugleich – vielleicht erstmalig – als Ordnungsprinzip verstanden werden.

 

Freiheit ist nicht “laissez faire” und auch nicht Chaos.

 

Freiheit ist nur verständlich im Zusammenhang mit dem Individuum und im Gegensatz zum Kollektivismus (der gezielt den Gruppenzwang nutzt) und dem Staat. Aufgabe des Staates ist es, dem Bürger möglichst viele Möglichkeiten zu geben, sein Leben nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten. Nur das ermöglicht ein Leben in Würde.

 

Anders ausgedrückt: Die Frage, wer über mich regiert, ist sekundär. Primär ist die Frage zu klären, wie weit überhaupt andere über mich als erwachsenen, mündigen Bürger bestimmen dürfen. Aus obigen Ausführungen ergibt sich zwangsläufig: Natürlich nur im unbedingt zwingend nötigen Umfang!

 

Wenn dieses Ziel, Bürgern die Freiheit der Lebensgestaltung zu ermöglichen, die oberste Priorität hat, ordnen sich die anderen Fragen quasi von selbst. Das wäre übrigens die “Chancenpartei”, die Daniel Stelter vorschwebt.

 

 

 

Zersplitterung

 

Das “Establishment” wird eine solche Umkehr der auch wirtschaftlichen Freiheit nicht bewirken. Es klammert sich an seine alten Ideen und Privilegien, was menschlich verständlich, für das Land aber fatal ist.

 

Oft hört man als Einwand, dadurch neuen Parteien würde das bürgerliche Lager zersplittert.  “Das bürgerliche Lager” – gibt es das überhaupt noch? Zersplittert dürfte es längst sein. Eine neue, unverbrauchte Kraft hätte viel eher die Möglichkeit, dieses wieder zu vereinen. Auch das zeigt Argentinien.

 

Zusammengefasst ist festzustellen, dass weder das Mehrheitswahlsystem noch eine präsidiale Demokratie die entscheidenden Weichenstellungen sind. Wir können vielmehr mit unserem System ebenfalls sehr viel erreichen, wenn der Wille besteht. Vielleicht sogar leichter, denn es bedarf nicht der großen Mehrheit, um wirklich etwas zu bewirken.

 

Mit den bisherigen Parteien wird eine Verbesserung allerdings nicht gelingen. Ebenso wenig allerdings mit einer Partei, die strukturell so ist wie alle anderen. Mehr desselben wird ganz grundsätzlich nicht helfen.

 

Ein neuer Weg beginnt mit einer Partei, die nach Form und Inhalt neue Wege geht, mit anderer Struktur und dem Ordnungsprinzip Freiheit.