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Der Zauber der Schönheit

 

 

 

 

Annette Heinisch

 

 

Liebe Politiker, wollt ihr gerne wieder gewählt werden? Dann habe ich einen guten Rat, macht es wie Philippe Pemezec, Bürgermeister von Le Plessis – Robinson, der seit 1989 im Amt ist, wieder gewählt 2023. Das ist eine wirklich lange Zeit! Was macht ihn so beliebt?

 

 

Es ist kein Wunder, sondern eigentlich ganz einfach: Er machte die kleine Stadt schön, schuf ein bezauberndes, menschliches und lebenswertes Umfeld für die Bürger der Stadt am Rande von Paris. Eigentlich war diese auf dem Wege, eines der berüchtigten „banlieues“ von Paris zu werden. Der Ort war hässlich, die üblichen „modernen“ Betonklötze der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts säumten die Straßen, dabei war alles ziemlich heruntergekommen. Verfall prägte das Stadtbild. Zweidrittel der Häuser waren in einem schlechten Zustand, die öffentlichen Plätze vermüllt, die Kriminalitätsrate hoch. 1989 war Le Plessis – Robinson dabei, einer der problematischsten banlieues im Großraum Paris zu werden.

 

 

Dann wurde Pemezec zum Bürgermeister gewählt. Er machte sich zusammen mit dem Architekten Francois Spoerry auf, die Stadt umzugestalten, im klassisch - französischem Sinne „schön“ zu machen. Wenn man durch den Ort geht, so sieht er heute aus, wie man sich die typische französische Stadt vorstellt, mit charmanten Kandelabern statt hässlichen Laternen, hinreißenden Häusern der sogenannten „sanften Architektur“ mit teils reichen Ornamenten und verzierten Balkonen, viel Grün und Wasser, bunten Blumen: Ein Ort, an dem sich jeder Franzose (und wohl auch jeder Deutsche) wohl fühlt. Wer sich ein Bild von der Verwandlung von einem grauen, heruntergekommenen Vorort zu der charmanten, lebenswerten Kleinstadt heute machen will, kann dieses hier tun.

 

 

In anderen Beiträgen habe ich bereits meinen ausgeprägten Hang zur Architektur offenbart. Architektur ist aber kein Selbstzweck: Nicht nur, dass die Umgebung Menschen beeinflusst, umgekehrt zeigt Architektur auch, was Architekten und Stadtplaner von ihren Mitmenschen halten. Wollen sie eine Behausung für den „neuen Menschen“ bauen, Altes zerstören, um ihn besser (um)erziehen und in ein politisches Raster pressen zu können oder schätzen sie Menschen in all ihren Facetten? Sollen Menschen einfach nur „untergebracht“ werden, oder soll eine lebens – und liebenswerte Welt entstehen? Ob man seine Mitmenschen als Bauern im Schachspiel sieht, die man nach Belieben verschiebt oder aber ob man sie ehrlich wertschätzt, all das erkennt man in der Architektur.

 

Eine der Lektionen, die in Le Plessis gelernt wurden ist, dass ein solches Projekt langfristigen Denkens bedarf. Nicht der schnelle Gewinn oder die nächste Wahl sind entscheidend, sondern so etwas entsteht nur über einen längeren Zeitraum mit Geduld und Beharrlichkeit. Ebenfalls wichtig: Man muss „skin in the game“ haben. Wer einfach irgendwo lebt oder sonst wegzieht, hat niemals diese Bindung und das Verantwortungsgefühl, welches dafür nötig ist. U. a. deshalb wurden dort vielen Wohnungen den Bürgern zum Kauf angeboten. Dies gilt auch für Sozialwohnungen, die zu einem Sonderpreis von den Bewohnern erworben werden konnten, 80% von ihnen nahmen das Angebot an.

 

 

Ein weiterer Aspekt ist, dass die „Blockarchitektur“ aufgehoben und sehr klar definiert wurde, welche Bereiche öffentlich und welche privat sind. Bei großen Wohnblocks gibt es große Areale um die Häuser herum, die halb öffentlich sind, was heißt: Keiner fühlt sich so wirklich dafür zuständig oder verantwortlich. Also verwahrlosen sie. Das ist in Le Plessis – Robinson nicht der Fall, hier sind die Verantwortlichkeiten klar festgelegt.

 

 

Dass auch sozialer Wohnungsbau schön sein kann, zeigt der Ort anschaulich. Von außen lassen sich in keiner Weise die Unterschiede zwischen sozialem und freiem Wohnungsbau erkennen.

 

Die vielleicht wichtigste Lektion ist: „Beauty does matter“, so heißt es im Video. Natürlich ist Schönheit wichtig, sie macht einen entscheidenden Unterschied. Für den Bürgermeister war das selbstverständlich, er fing zunächst an, ganz einfach viele Blumen zu pflanzen. Die transformative Kraft der Schönheit führte dann zu weiterreichenden Änderungen im Stadtbild und vor allem im Selbstverständnis der Menschen, die dort wohnen. Die Bürger wurden achtsamer, die Bindung an den Ort stieg, sie identifizierten sich mit der schönen Umgebung, es siedelten sich mehr Geschäfte an, der Aufschwung nahm seinen Lauf.

 

 

Le Plessis hat wieder eine Seele. Und es gibt eine Einsicht in dem Video, die man gar nicht oft genug wiederholen kann: „Schönheit und Menschenwürde gehen Hand in Hand. Menschen, die keine Wahl haben zu zwingen, in hässlichen Betonschachteln zu leben, ist unethisch. Denn Schönheit richtet einen auf, inspiriert und gibt Hoffnung. Und das verdient jeder.“

 

Die Wertschätzung, die der Bürgermeister seinen Bürgern, auch den Ärmsten unter ihnen, entgegenbrachte, wurde von ihnen erwidert. „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus.“ So ganz anders als die Art, mit der wir Bürger oft von Politiker beschimpft und diffamiert werden, oder?

 

https://www.youtube.com/watch?v=XfonhlM6I7w