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Zum Kotzen

 

 

 

 

Annette Heinisch


 

“Es lernt einen ja alles!“ Dieser schöne Satz einer Amtsrichterin aus Buxtehude hat sich mir eingeprägt. Recht schwebt ja nicht im luftleeren Raum, es ist der Bewertungsmaßstab für sehr reale Sachverhalte. Diese überhaupt vollumfänglich zu erfassen, also alle Fakten „auf die Reihe“ zu bekommen und diese ggf. mit Hilfe von Sachverständigen auch zu verstehen, ist oft wesentlicher Teil des juristischen Handwerks. Allerdings der Teil, der an Universitäten nicht gelehrt wird.

 

Dabei hat man es oft mit den unterschiedlichsten Lebensbereichen zu tun und das „lernt einen“ ganz ungemein. Ist man dann auch noch für Unternehmen verschiedenster Branchen tätig, vervielfachen sich diese Inseln des Wissens im Meer des Unwissens. Eine möglichst umfassende und akkurate Kenntnis der realen Lage ist immer Ausgangspunkt einer Bewertung. Danach ist zu prüfen, welcher Bewertungsmaßstab der richtige ist, d. h. welches Ziel mit welchen Mitteln erreicht werden soll. Es ist wie mit einer Straßenkarte, auf der man den Weg sucht. Wer wissen will, wie er sein Ziel am besten erreicht, muss zunächst einmal wissen, wo er überhaupt ist. Erst dann kann man abwägen, ob man lieber gemütlich über eine reizvolle Landstraße fahren oder eher schnell ans Ziel kommen möchte.

 

In der Wirtschaft ist das Ziel von vornherein festgelegt, nämlich ein Unternehmen zu schaffen oder zu erhalten, das solide aufgestellt ist und Gewinn erzielt. Unterschiede gibt es in der Gewichtung, z. B. ist das Ziel von Familienunternehmen, langfristig und über Generationen das Unternehmen zu erhalten. Der schnelle Gewinn „und nach uns die Sintflut“ ist deren Sache nicht. Das Erzielen möglichst hoher Verluste und die nachhaltige Schwächung des Unternehmens ist jedoch niemals Ziel von Unternehmen. Das kann passieren, ist aber in der Regel nicht Programm. Man nennt es Misswirtschaft und Führungsversagen.

 

Auffallend ist, dass Risikoeinschätzungen oft stark divergieren: Dass, was der risikokompetente Profi basierend auf Erfahrung für den langfristig sicheren Weg hält und das, was der im Umgang mit Risiken Ungeübte für sicher hält, ist nicht selten sehr unterschiedlich. An diesem Punkt hängt dann das weitere Vorgehen vom Vertrauen ab: Wer aufgrund guter vorheriger Erfahrung dem Ratgeber vertraut, wird ihm eher auch dann folgen, wenn der vorgeschlagene Weg für risikoreich gehalten wird. Das Vertrauen in die Urteilskraft ist also ganz entscheidend.

 

Wie komme ich darauf? Ganz einfach: Weil das Vertrauen in die Urteilskraft weiter Teile der Politik und der Medien mittlerweile den Nullpunkt unterschritten hat. Es ist sozusagen unterirdisch.

 

 

 

Causa Süddeutsche Zeitung

 

Bekanntlich hat die Süddeutsche Zeitung eine Schmutzkampagne gegen den Vorsitzenden der Freien Wähler und Stellvertretenden Ministerpräsidenten sowie Wirtschaftsminister des Freistaats Bayern, Hubert Aiwanger, losgetreten.

 

Dabei geht es um ein Flugblatt mit (zurückhaltend formuliert) geschmacklosem Inhalt aus der Schulzeit, welches eine rechte und antisemitische Gesinnung nachweisen soll.

 

Tatsächlich hat sich der Bruder Helmut Aiwanger zu dem Flugblatt bekannt, er hat die Urheberschaft eingeräumt. Damit ist die Sache eigentlich beendet. Auf der Faktenebene ist die Lage geklärt.

 

Keiner der Brüder Aiwanger muss irgendetwas nachweisen, erklären oder erläutern. Falls jemand die Angelegenheit weiterverfolgen wollte, müsste der Ankläger nachweisen, dass Hubert und nicht Helmut das Flugblatt geschrieben hat. Bis dahin wäre es ratsam, Zurückhaltung zu üben, denn „wer in Beziehung auf einen anderen eine Tatsache behauptet oder verbreitet, welche denselben verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen geeignet ist, wird, wenn nicht diese Tatsache erweislich wahr ist, mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe und, wenn die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (…) begangen ist, mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“, so der Wortlaut des § 186 StGB.

 

Die Rechtsordnung schützt also den Ruf desjenigen, der in Misskredit gebracht wird, wenn die Tatsache nicht nachweislich wahr ist. Nach Lage der Dinge ist die Behauptung, Hubert Aiwanger habe das Flugblatt geschrieben, falsch. Ergo ist bei Äußerungen Vorsicht geboten.

 

Tatsächlich zeigt aber der weitere Umgang mit der Sache, dass weder viele der maßgeblichen Medien noch diejenigen, die in politisch verantwortlichen Ämtern sitzen, besonders fest auf dem Boden unserer Rechtsordnung verhaftet sind. Sie haben sich offenbar nicht nur von den Bürgern entfremdet.

 

Nahezu alle scheinen die Hetzjagd auf den politischen Gegner mitzumachen. Ist der Ausgangsvorwurf nicht belegbar, ändert dies offenbar nichts an der Bewertung, denn der vermeintlich „braune Sumpf“ muss ausgetrocknet werden. Es wird weiter spekuliert und fabuliert, neue Geschichten aus dem Hut gezaubert und postuliert, solche Jugendsünden seien unverzeihliche Todsünden.

 

Und wenn es das nicht ist, dann wird der Umgang Aiwangers mit den Medien kritisiert. Als ob es eine „richtige“ Art gäbe, sich gegen Schmutzkampagnen zu wehren. Schließlich ist Aiwanger nicht in einer linken oder grünen Partei, bei denen einige Vertreter sich in sprachlos machender Weise Dinge erlauben dürfen, die nicht nur sie für ihr Amt disqualifizieren, sondern auch Deutschlands Ansehen nach außen erheblich beschädigen.

 

Der Punkt ist: All diese Fragen liegen neben der Sache. Erst dann, wenn die Urheberschaft Hubert Aiwangers bewiesen wäre, würde sich die Frage einer Bewertung überhaupt erst stellen. Jeder, der sich derzeit damit befasst, muss wissen, dass er sich mangels hinreichender Tatsachengrundlage an einer Schmutzkampagne beteiligt.

 

Das aber offenbart mehr über die in diesem Staat maßgeblichen Institutionen als allen Beteiligten lieb sein kann. Sowohl derjenige, der eine solche Kampagne lostritt, als auch all diejenigen, die in der Krise den klaren Kopf verlieren und diese Kampagne mit illegitimen, logisch nicht erfüllbaren Forderungen nach Nachweisen der Unschuld fördern, haben sich diskreditiert.

 

 

 

Endlosschleife

 

Bewundernswert sind hingegen die klaren Worte von Prof. Dr. Michael Wolffsohn: „Als Jude wehre ich mich dagegen, dass Denunzianten uns Juden für ihre tagespolitischen Zwecke missbrauchen….Und, liebe deutsche Mitbürger, hört mit den unsäglichen Judenspielen auf, wenn ihr eure persönlichen oder politischen Süppchen kocht.

 

Das wäre in der Tat auch mein Wunsch. Die Instrumentalisierung des unendlichen Leids jüdischer Mitbürger und aller jüdischen Opfer der schrecklichen Herrschaft der Nationalsozialisten in den von Deutschland besetzten Gebieten und damit einhergehend deren Bagatellisierung ist mir persönlich zutiefst zuwider. Wie bei einer Schallplatte, die einen Sprung hat, erfolgt diese Bagatellisierung in Endlosschleife, um sich dann als Retter der Menschheit aufzuspielen. Angesichts des Leids ist das schlicht ekelhaft!

 

Jede Form des Totalitarismus ist der blanke Horror. Es sind Ideologien, die dem Einzelnen nicht nur die zu verfolgenden Ziele, sondern auch die Wege und zudem als Orientierung „Straßenkarten“ aufzwingen, die fern der Realität sind. Gezielt werden Fakten und Bewertungen vermischt und die eigene Bewertung als allein Seligmachende durchgesetzt. Ähnlichkeiten mit dem, was derzeit im politischen Raum in Deutschland passiert, sind nicht zufällig.

 

Wer den politischen Gegner nicht auf der Ebene von Sachargumenten begegnet, sondern mit Schmutzkampagnen überzieht oder dabei mitmacht, ist ungeeignet, Verantwortung für dieses Land und seine Bürger zu übernehmen. Es mag sein, dass die Sachargumente fehlen, besonders dann, wenn die eigenen Konzepte das Land – teils als Programm, teils aus Inkompetenz – an den Rand des Abgrunds bringen. Nur macht dies das Vorgehen zwar verständlich, aber nicht besser. Vielmehr sind wir an dem Punkt, an dem das Vertrauen vieler Bürger endgültig weg ist und damit die Gefolgschaft gerade in Zeiten verloren, die ein hohes Maß an Gefolgschaft bedürften. Denn eines dürfte allen klar sein: Schmerzfrei kommt Deutschland nicht wieder in die Spur. Und mit diesen Leuten in Politik und Medien schon gleich gar nicht.

 

Um es mit den Worten von Malca Goldstein – Wolf zu sagen:

 

„Wir leben in einer Zeit, in der die größten Heuchler und Lügner den Kurs des Landes bestimmen.

 

Die Maßstäbe, die sie an andere anlegen, gelten selbstverständlich nicht für sie selbst.

 

Denunziantentum wird staatlich gefördert, Funktionäre aller Art, ebenfalls am staatlichen Tropf hängend, werden politisch gesteuert.

 

Von langer Hand wird vorgegeben, mit wem man sich (dem Zeitgeist entsprechend) solidarisiert und wer zum Abschuss frei gegeben wird.

 

Wir leben in einem Land, in dem Antisemiten bestimmen, was Antisemitismus ist….

 

Die Führer dieses Landes kotzen mich an!“