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Hunger als Waffe?

 

 

 

 

Jens Hettmann


Der von meinem/unseren früheren Partner Gilles Yabi gegründete und geführte westafrikanische Think Tank WATHI hat in Zusammenarbeit mit dem Institut Jacques Delors heute eine sehr interessante online Veranstaltung im Angebot gehabt.

 

Vier Referentinnen und Referenten boten interessante, niveauvolle und gut informierte Vorträge zu den auch in Deutschland viel Polit- und Medienrummel verursachenden Folgen der russischen völkerrechtswidrigen Invasion der Ukraine auf die Nahrungsmittelversorgung in Afrika und Europa an.

 

Die Expertinnen und Experten wussten vor einem breiten institutionellen Hintergrund – von NROs über das Institut Jacques Delors bis hin zur Regionalorganisation CEDEAO Interessantes zum Thema zu sagen.

 

 

Als dort langjährig Berufstätiger und auch als Rentner noch recht intensiv die Entwicklungen beobachtend war ich gleichwohl nicht vor Überraschungen gefeit, wobei die vorgetragenen Überlegungen weithin denen entsprachen, die hier in Europa auch zu vernehmen sind.

 

Es würde zu weit führen, sie hier en détail nachzuzeichnen, zumal zwischen den Expertinnen und Experten keine wirklich nennenswerten Unterschiede in der Beurteilung der Ernährungslage Westafrikas und ihrer vermutlichen Entwicklung zutage traten: sie war kritisch, sie ist kritisch und sie wird wohl auch kritisch bleiben.

 

Eine sehr interessante Online-Veranstaltung, die die in Europa(s Medien) und noch mehr in der (deutschen) Politik verbreitete Behauptung, dass P. Hunger als Waffe gegen Afrika einsetzte, LÜGEN STRAFTE.

 

Vielmehr wurden - wenig überraschend für mich - zwei andere, leider altbekannte und immer noch unbewältigte Herausforderungen in den Vordergrund gestellt:

 

1. Mangel an Düngemitteln: es gibt in Westafrika drei Düngemittelproduktionsstätten, zwei in NGA, eine in SN, die, ausreichende Mengen für die ganze Region produzieren könnten, wenn, ja wenn, sie auf Volllast laufen könnten. Das gelingt leider (immer) noch nicht richtig. Würde das funktionieren, würde die Abhängigkeit Westafrikas von Nahrungsmittelimporten deutlich absinken, bestenfalls sogar verschwinden.

2. Transport: zwar herrscht in der CEDEAO Freihandel, allerdings nur auf dem Papier. Und das alte Problem, dass es ausgerechnet die Uniformierten sind, die allenthalben Wegelagerertum betreiben, ohne dass die Staaten auch nur bemüht wären, dagegen vorzugehen, führt über normale, kaum kalkulierbare 'Geschäftsrisiken' hinaus – wobei: die Wegelagerer'gebühren' sind recht gut vorab kalkulierbar - zu hohen Preisen, die die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt nachhaltig hemmen. Mit der in der westafrikanischen Kultur üblichen Höflichkeit wurde das Problem zwar ‚anskizziert‘, Forderungen, damit aufzuräumen, wurden aber nicht erhoben. – Kommentar von mir dazu: jemand, der behaupten würde, das alles in den Griff bekommen zu können, würde lügen. Darum tut das auch ernsthaft niemand. Und zweitens sind die Zöllner und andere Akteure dermaßen schlecht bezahlt, dass sie nachgerade auf das an den Straßensperren un Grenzen erhobene ‚Wegegeld‘ angewiesen sind. Das mag man nun mögen oder auch nicht: so ist es aber. Und wer nicht nach den Regeln mitspielt, scheidet aus. Punkt. - Es läuft also der regionale Binnenhandel weiter wie seit eh und je. Die fünf-Stufen-Theorie von Walt Whitman Rostow harrt in Westafrika weiterhin ihrer Umsetzung. –

 

Zum Schluss noch eine 'private' Anmerkung: Vorträge und Debatten konzentrierten auf die mir wohl bekannten 'vrais problèmes', auf die Sache, afrikanisch höflich und an den Stellen, wo der Schuh wirklich drückt, eher in Form zarter Andeutungen. So weit, so bekannt.

 

Aber etwas Anderes fiel mir auf: 'Deviationen' etwa sprachlicher Art oder sonst irgendwie befindlichkeitspolitischer oder gar ‚quotierender‘ Natur tauchten nicht auf. Es ging um die Sache. Die Sache für ALLE, niemand war ausgeschlossen, die ganze Region war angesprochen. Niemand – auch von den Fragestellern nicht – verwies auf irgendwelche besonders darunter leidenden (Rand-)Gruppen oder verlangte gar besondere Berücksichtigung von solchen. Klar: Der Klimawandel wurde auch erwähnt, allerdings deutlich weniger überzeichnet als es bei einer vergleichbaren Konferenz in D der Fall gewesen wäre. Auch das hat mir gut gefallen. ----- Drastischste aller möglichen Zusammenfassungen der Konferenz: der Putinsche Hungerkrieg, wie von unserer deutschen (und wohl auch europäischen) Politik volltönend verkündet, wurde in dieser durch conférencier(e)s aus EUR und AFR besetzten Konferenz als nachrangig eingeordnet.

 

Un grand merci à WATHI, à Gilles Yabi et: à la prochaine. Amitiés de la part de Jens Hettmann