Seit dem 7. November 1989 bin ich Mitglied der SPD, habe tolle Höhen und ebenso unschöne Tiefen erlebt. Die Zahl der Höhen ist größer, doch was nützt dieses Wissen, wenn ich mich jetzt in einer
abstrusen Situation sehe, die vor wenigen Jahren einfach undenkbar war.
Schon 1990 war ich überrascht, wie wenig die SPD auf gravierende Situationsänderungen zu reagieren vermochte. Seit dem Herbst 1989 hätte die SPD ihren Teil an der Ernte aus Brandt’scher Neuen
Ost- und Schmidt’scher Gleichgewichtspolitik einfahren können und zeigte stattdessen täglich, wie sehr sie auf dem falschen Fuß erwischt worden war.
Mit der Friedlichen Revolution und dem Mauerfall 1989 war für alle Politikprofis der Bundesrepublik Fahrschulprüfung unter drastisch geänderten Straßenverhältnissen. Wer peinlich durchfiel, war
die SPD. Kurt Schumacher drehte sich im Grab, Willy Brandt und Helmut Schmidt mussten würgen. Mit ihnen sehr viele Anhänger der deutschen Sozialdemokratie in und außerhalb der SPD. Union und FDP
hatten mit Kohl und Genscher mehr Glück und konnten gestalten, was ihnen auch Brandt und Schmidt hinterließen. Das war 1989/90.
Und was ist 2018? Wenn 1990 Fahrschulprüfung für alle Politikprofis in Deutschland war und die SPD kläglich versagte, dann ist in diesem Jahr Flugprüfung und die SPD versagt noch gründlicher als
1990. Sie schwebt sowohl über dem Boden als auch an ihrer Wählerschaft vorbei, den Blick nur auf ihre Funktionäre gerichtet. Die sind aber nur eine klitzekleine Teilmenge des Wahlvolkes.
Als Mitglied der SPD habe ich nun den gewiss nicht steuerpflichtigen Zeitvertreib zwischen Ja und Nein zu den Sondierungsergebnissen der Verhandlungsführer von Union und SPD zu entscheiden und
sehe mich sofort in Geiselhaft des Familiennachzuges. Der wird nämlich in ungeahnter Zahl mit dem 16. März wiedereinsetzen. Die Zahlen schwanken zwischen denen der Rosstäuscher um die 40.000 und
denen der Skeptiker um die 800 000 Zuwanderer aus eher fremden Kulturen. Hier meine ich insbesondere die Kultur der Frauen- und Staatsverachtung.
Deutschland würde mit Sicherheit nicht sicherer, käme es zu dieser unverantwortlichen Entwicklung. Subsidiären Schutz gibt es erst seit 2015 und er gilt nur für die Zeit der Gefahr und bedeutet,
nach dieser Gefahr geht es zurück in die Heimat und wir helfen, dass es in dieser Heimat auch unter aktiver Mitwirkung der zurückkehrenden Flüchtlinge besser wird. Wir sind humanitär aber nicht
verrückt.
Nehmen wir jetzt noch die EU-Drohung der geplanten Dublin-IV-Regelung, wonach
jeder Zuwanderer in Deutschland andocken kann und wird, dann wird es so richtig unangenehm in Deutschland. Diesen Fakt uns bisher gründlich vorenthalten zu haben, wirft ein bezeichnendes Licht
auf die Verhandlungsehrlichkeit der Sondierer. Die hätten nämlich in ihrem Abschlußtext klarmachen müssen, dass sie gegen diese bedrohliche EU-Regelung massiv angehen werden!
Nun zu meinen Entscheidungschwierigkeiten. Da ich für die weitere Aussetzung des Familiennachzuges und für die Gestaltung eines Einwanderungsgesetzbuches bin, müßte ich eigentlich in dieser
Diskussion für das Sondierungsergebnis werben und in der kommenden Mitgliederbefragung über eine eventuelle GroKo mit Ja stimmen. Tue ich das nicht, trage ich mit dazu bei, dass der Wahnsinn im
März wieder losgehen wird. Geschickt eingefädelt, liebe Sondierer.
Nun habe ich aber das Problem, so wie viele Menschen in Deutschland auch, dass ich keinem von euch noch über den Weg traue. Angela Merkel hätte gar nicht erst für 2017 antreten dürfen, Horst
Seehofer ebenso wenig und Martin Schulz hätte am 24. September 2107 abends die Segel streichen müssen. Stattdessen haben alle drei mit ihren Paladinen ein Dorfstück geboten, welches nicht einmal
den Gemeinschaftsstandards (das ist die Zensursprache von Facebook) für den Komödiantenstadl entsprochen hätte.
So, jetzt wird es spannend. Lasse ich mich auf das Sondierungspapier ein und lasse mich mit dem Familiennachzug erpressen oder sage ich mir, die täuschen seit Monaten, verhampeln sich beinahe
täglich und werden wohl doch nicht Wort halten oder das dann ganz anders interpretieren? Sollte ich zu diesem Schluss kommen müssen, dann werde ich wohl doch bei NoGroKo-Neinsagern landen, mit
denen ich eigentlich nur das SPD-Parteibuch gemein habe.
Ich weiß natürlich, dass dann der zum Tode verurteilte Versuch einer Minderheitsregierung käme und damit Neuwahlen mit einer SPD, die sich noch weiter weg vom Souverän gebärden würde. Was soll’s.
Selbstmord ist politischen Parteien nicht verwehrt.
Auf die Zuwanderungsproblematik gehe ich in diesem Text bewusst ausschließlich ein. Weil diese Problematik höchst prioritär ist und unser aller Zusammenleben wesentlich mehr beeinflussen wird als
alle anderen Verabredungen im Sondierungspapier zusammen genommen an Wirkung entfalten werden.