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50 Jahre „68“. Welches „68“? Eine Polemik.

Das Jubeljahr bricht unaufhaltsam aus. 2018 wird nun allerorten in den Leitmedien sowas wie Republikgeburtstag gefeiert. Emanzipation, Multikulti und NS-Aufarbeitung werden abgefeiert, Hysterie, Steine, RAF-Terror, Diskussionsverweigerung werden verschwiegen.

Es lohnt der kritischen Betrachtung dessen, was viele „68er“ als ihre Erfolge beweihräuchern. Sehen wir doch 50 Jahre später den failed state Berlin mit RRG als fleischgewordenes „68“, eine zunehmend überforderte und hilfloser werdende Justiz, eine diskriminierte und fast schon schützenswerte Polizei, autoritätsfreie Lehrer und eine allgemeine Bildungsverflachung, das Niederschreien Andersdenkender, die Hamburger Revolte so vermummter wie hinterhältiger steine-werfender Feiglinge gegen den G-20-Gipfel und vieles mehr. Nicht zuletzt ist der Wahn gegen die Demokratie wie gegen eine Diktatur kämpfen zu müssen eine beklemmende Beobachtung. Die sich zugleich interessant mit Pegida überschneidet. Auch die Leute glauben in einer Diktatur zu leben, obwohl ihre Demonstrationsfreiheit durch die Polizei geschützt wird. Allerdings schreien sie (noch?) ohne Zerstörungswut. Aber, was nicht ist, das kann ja noch werden. Weitgehend strafrechtlich folgenlos vorgelebt haben sie es ja, die „68er“.

Zu den angeblichen Erfolgen:
            D
ie NS-Aufarbeitung begann spätestens mit Fritz Bauer. Der Mann war für „68“ zu früh geboren, hatte damit nichts zu tun. Umgekehrt hatte auch „68“ mit Fritz Bauer wenig oder gar nichts zu tun. Im Gegenteil, „68er“ Nachkömmlinge selektierten in den 70ern schon wieder Juden und Nichtjuden in von Terroristen entführten Flugzeugen. Für „68“ war die lange vorher begonnene NS-Aufarbeitung weniger Herzensangelegenheit denn nützliches Vehikel gegen die ungeliebte Demokratie.
            Die Emanzipation der Frau begann Jahrzehnte vor 1968. Das Frauenwahlrecht kam 1918, in das Grundgesetz wurde 1949 "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" geschrieben. Der „Tomatenwurf“ als Startschuss der neuen Frauenbewegung auf dem SDS-Kongress 1968 galt dem männlichen SDS-Establishment und ist durchaus singulär zu und weniger identisch mit „68“ betrachtbar. Dass der Kampf gegen den Paragrafen 218 ohne „68“ nicht denkbar und erfolgreich gewesen wäre, ist ein Ammenmärchen. Die Frauen hätten sich, so agil und klug bspw. Alice Schwarzer agierte, auch ohne die Dutschkes ihren Durchmarsch in der funktionierenden Demokratie der alten Bundesrepublik erreicht. Besonders paradox: Seit 2015 kämpfen viele emanzipierte Frauen für ein Unterdrückungssymbol von Frauen: das Kopftuch. Schon 1968 hatte nicht alles zusammengepasst. Das ist heute auch nicht anders.  
            Und Multikulti? Bedarf es tatsächlich weiterer Erläuterungen? Deutschland wurde seit 2015 brachial multikulturalisiert, ohne den Souverän zu befragen. Den Salat haben wir jetzt: ein unsortiert scheinendes Land, eine explodierte Kriminalitätsrate, starke politische Ränder bei zerbröselnden Parteien zwischen diesen Rändern – schlicht Politik in unangenehm kommunizierenden Röhren. Die Republik scheint heute manchmal die Inkarnation der Anstalt zu sein, aus der die Dutschkes damals entwichen schienen.

Waren die „68er“ Helden? Was war ihr Risiko? Liefen sie Gefahr niedergeschossen zu werden? Liefen sie Gefahr, politische Gefangene einer Geheimpolizei zu werden? Brachten sie ihre Verwandtschaft mit in Gefahr der Sippenhaftung? Drohte ihnen KZ oder Gulag?
Oder warteten nur Ordnungsstrafverfahren und Entschädigungsforderungen auf sie?

Gibt es seitdem nicht immer wesentlich mehr verletzte Polizisten als verletzte Demonstranten? War die Bundesrepublik ein Unrechtsstaat mit Mauer, Stacheldraht, Schießbefehl, politischer Geheimpolizei, politischer Justiz mit Willkürurteilen, gab es keine freien Wahlen, gab es keine Reisefreiheit mit der Möglichkeit, die Welt selbst zu betrachten, gab es keine staatlich geschützte Demonstrationsfreiheit? Diese Fragereihe wäre endlos fortsetzbar.

„68“ war ein verheerender Sturm im sehr zerbrechlichen Wasserglas Demokratie in Abwesenheit eines existenziellen Risikos für die Protagonisten. Das existenzielle Risiko trugen allein die Demokratie und die diese tragende Gesellschaft.
Das Beispiel Benno Ohnesorg taugt hier nicht, die Stasi war im Spiel und damit das MfS-Netz innerhalb der Westberliner Verwaltung. Revolutionäre Situationen im krisengeschüttelten und faschistischem Westdeutschland/Westberlin waren ein Sehnsuchtsort vieler Kommunisten außer- und innerhalb des Ostblocks.
Für staatsbürgerkundeabgehärtete Ostdeutsche am Radio oder Fernseher war diese Sehnsucht jedenfalls kein Geheimnis. Zu den Überraschten über die Entdeckung von Kurras war ich jedenfalls nicht zu zählen. Wer weiß, was noch alles mit Stasihilfe in der Bundesrepublik schieflief?

 

Wo wäre die Bundesrepublik heute ohne „68“? Wäre sie weniger demokratisch? Wohl nicht. Genauso hysterisch? Wohl kaum. Keine Bürgerbeteiligung? Wohl kaum. Im Freistaat Bayern bspw. gibt es seit 1919 Volksentscheide und Volksbegehren. „68er“ haben hieran wohl schwerlich Anteil.

Ich behaupte, all die gesellschaftlichen Fortschritte der letzten 50 Jahre wären ohne die durch „68“ erzeugten Verhärtungen zwischen Staat und veränderungswilligen Bürgern eher und befriedender gekommen. Diese Demokratie ist durchlässig und sie funktioniert. Was immer auch an Wahlergebnissen ablesbar ist. Sogar an Wahlergebnissen, die Vielen schmerzen.

Mir schauderts schon jetzt ob der kommenden frühkindlichen Jubeltexte über „68“. Ich nehme euch nämlich nur als Mitmenschen ernst, nicht als Helden, liebe Scheinhelden von 1968. Ihr ahnt ja nicht einmal, dass ihr euch in einer Diktatur nicht vermummt mit Steinen in der Hand zur Wehr gesetzt hättet. Auch ihr wäret froh gewesen, von Angesicht zu Angesicht mit der aufs Schießen ausgerichteten Staatsmacht mit dem Leben davon gekommen zu sein.
Der Widerstand in einer Diktatur bedarf nämlich des Kopfes, nicht des Muskels. Ein einziger Stein in Leipzig 1989 und die Kommunisten hätten geschossen. Wisst ihr das überhaupt?

Aber es gab ja noch ein anderes „1968“ in Prag, das „68“ mit der Hoffnung auf ein menschliches Antlitz des blutigen Kommunismus! Während Ihr Namen von Verbrechern, die Millionen Menschen auf dem Gewissen hatten, deren Genossen und Bluts-Freunde das Völkergefängnis Ostblock beherrschten, skandiertet, hofften hunderte Millionen Ostblockinsassen von der Elbe bis an den Pazifik auf die Freiheit, die Ihr mit Füßen tratet, die ihr zu verspielen bereit ward. Wo waren eure Massenveranstaltungen in Solidarität mit den Tschechen und Slowaken nach dem erneuten Einmarsch von Teilen einer deutschen Armee in brüderlicher Verbundenheit mit Breschnews‘ Truppen am 21. August 1968 in die CSSR?

Egal, welche Allegorien auf euer 1968 abgesungen werden. Allen wird das Eingeständnis fehlen, überheblich mit der Freiheit gespielt zu haben, nach der sich Millionen anderer Menschen nebenan in einem riesigen Lager sehnten.
Ich verdanke euch überhaupt nichts! Nicht das Demonstrationsrecht, nicht die Freiheit, nicht die Sicherheit in der Einheit. Im Gegenteil, Ihr wolltet die „Erfassungsstelle Salzgitter“ schließen, eine DDR-Staatsbürgerschaft anerkennen und wäret Ihr 1990 schon so präsent in der westdeutschen Politik gewesen wie ihr es heute seid, Ihr hättet uns die Hand zu Freiheit und Demokratie in gemeinsamer Sicherheit niemals gereicht. Für euch waren wir 1989 Konterrevolutionäre, Faschisten und Nazis. So wie es Erich & Erich sahen. Stimmt’s? Ich meine den Honecker und den Mielke Erich.
Die würden euch übrigens zum Netzwerkverstopfungsgesetz gratulieren. Hätte doch glatt von ihnen kommen können. Denunzianten liebten die doch wie ihr.

Das muss ich jetzt noch loswerden. Wir hatten uns im Völkergefängnis Ostblock immer gefragt, warum kommen denn diese Idioten nicht rüber zu uns in die Zone. Hier könnten sie doch ihre Energie fruchtbar einsetzen und ihren Gesinnungsfreunden den Marsch blasen! Jeden, aber wirklich jeden Bundesbürger verstanden wir, der euch zurief „Dann geht doch in die Zone, in euer Paradies!“ Aber so paradiesisch wolltet Ihr es dann wohl doch nicht?


Eine sachdienliche Erläuterung am Ende.
Ich schreibe von eurem und unserem „68“ eingedenk der Tatsache, dass 1968 im Westen die Demokratie unter freiheitlichen Bedingungen einem Stresstest mit katastrophalen Folgen bis heute unterzogen und im Osten ein Pflänzchen Hoffnung auf Menschlichkeit mit ebenso anhaltenden Folgen niedergepanzert wurde. Das sollten wir alle nicht vergessen.

 

Dennoch ist mein Fazit:
Im Westen ging es um den Ärger in der Freiheit. Im Osten ging es um die Freiheit.