Achse des Guten, 21.12.2016
Wo bleibt die Entschuldigungs-Kultur?
Hören wir jetzt wieder die grüne Schnulze „Der islamistische Terror hat nichts mit dem Islam zu tun!“? Eine Schnulze, die die Kirche nie zu singen versucht hat, um etwa eine Geschichte zu lügen, die das Morden der „Heiligen Inquisition“ von der Kirche hätte abtrennen sollen? Warum sind es ausgerechnet christlich-grüne Blinde, die uns weismachen wollen, das Böse wohne in Deutschland und das Gute käme aus dem Orient? Wann wird sich die wunderbare Katrin Göring-Eckardt endlich bei Horst Seehofer, bei Markus Söder, bei Sebastian Kurz, bei Viktor Orban und vielen anderen entschuldigen – die wollten doch nur wissen, wen sie da alles über die eigene Schwelle lassen sollen.
Frau Göring-Eckardt gehört zu denen, die das Haus Europa unkontrolliert überrennen lassen wollten. Sie sprach so einfältige Sätze wie „Flüchtlinge machen Deutschland religiöser, vielfältiger und jünger“ – ohne zu erklären, was sie unter „religiöser“ überhaupt ansatzweise zu verstehen gedenkt, ohne die bisherigen Mieter des Hauses Europa zu befragen, ob diese überhaupt an zu wenig Jugend, an zu wenig Vielfalt, an zu wenig Religion leiden. Vielleicht gefiel den bisherigen Europäern ihr Europa, so wie es bis 2015 war? Vielleicht wären uns die Briten dann auch nicht auf dem unkontrollierten Weg zu einem religiöseren, vielfältigeren und kraftvoll jüngeren Europa abhanden gekommen? Anzumerken bleibt, dass die Frau eine weitere Zutat an ihre selten dämliche Aneinanderreihung sinnentleerter Floskeln mit dem Wörtchen „abenteuerlicher“ hätte anhängen können. Ich bin so frei und vervollständige deshalb im von mir so verstandenem Göring-Eckardtschem Sinn: „Flüchtlinge machen Deutschland religiöser, vielfältiger, jünger und abenteuerlicher“.
Bei Facebook las ich heute, was meine frühere Fraktionskollegin Dr. Lale Agkün zum gestrigen islamistischen Terroranschlag in Berlin schreibt:
„Man muss sich das mal vorstellen: Montagabend im Dezember in Berlin: Menschen gehen nach der Arbeit noch ein Glas Glühwein trinken auf dem Weihnachtsmarkt, eine bescheidene Abwechslung in der dunklen Jahreszeit. Sie reden über die kommenden Feiertage, was sie noch erledigen wollen und müssen, was sie so an den Feiertagen vorhaben. Und irgendein Mensch, ideologisiert und fanatisiert, beschließt, diese Menschen umzubringen. Menschen, die er nicht kennt, aber die er als Feinde auserkoren hat, weil er den Westen, den liberalen Lebensstil des Westens, weil er das Christentum, den Weihnachtsmarkt als Symbol des Christentums zu seinen Feinden erklärt hat! Nein, diese Wut, dieser Tötungsdrang gegen unschuldige Menschen lässt sich mit nichts erklären. Der Angriff auf den Berliner Weihnachtsmarkt war nicht der erste Fall und wird auch nicht der letzte Fall bleiben.
Mit der Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen wird man nicht viel ausrichten können. Wir brauchen eine Ursachenbekämpfung. Und die muss von uns Muslimen ausgehen! Ich, als Muslimin, schäme mich zutiefst, dass Menschen im Namen des Islam unschuldige Menschen umbringen. Ich bin nicht mehr bereit, solche Taten als ‚Einzeltaten von durchgeknallten Einzeltätern‘ hinzunehmen. Ich bin auch nicht mehr bereit, den ewigen, ermüdenden Wiederholungen ‚Das habe nichts mit dem Islam zu tun‘ zu lauschen. Wir säkularen Muslime müssen uns der Verantwortung stellen, dass es etwas mit dem Islam zu tun hat, wenn Menschen im Namen des Islam unschuldige Menschen umbringen. Und wir müssen endlich den Mund aufmachen: Wir wollen eine theologische Reform des Islam, damit solche Taten nicht mehr mit dem Islam zu rechtfertigen sind. Und: Wir wollen eine Trennung von Religion und Politik. Ich fordere alle weltoffenen und säkularen Muslime auf: Stellt Euch aktiv auf gegen den politischen Islam! Der politische Islam liefert die Rechtfertigung für diese Taten!“
Deutschland wird religiöser, vielfältiger, jünger und – abenteuerlicher
Zurück zur ausbleibenden Entschuldigungskultur: Wann entschuldigen sich endlich Lale Agküns Kritiker bei ihrem um so viel klügeren Kritikopfer? Wieder einmal mein Archiv durchstöbernd, stieß ich heute auf meine Sicht der 2010er-SPD-Diskussion um Thilo Sarrazin. Hätte ich damals geahnt, dass es wenige Jahre später fatale Entscheidungen geben würde, die statt eines unmerklichen „panta rhei“ eine Umwälzung per Völkerwanderung auslösen könnten, hätte ich die entsprechende Passage tunlichst sein gelassen. Aber genau solche Fehlentscheidungen schienen selbst mir 2010 unmöglich zu sein. Anschließend mein Artikel, der damals auch so in der Leipziger Volkszeitung abgedruckt wurde. Von wegen Lügenpresse:
Multkulti, Einwanderungsland und Sarrazin
„Ich gebe es zu. Bis auf die frühen 90er Jahre, in denen ich mich in meiner Partei um die begriffliche Klärung eines Einwanderungslandes ab und an bemühte, ließ ich das Thema Integration eher Links liegen. Die Zahl der Schwerhörigen war groß und es gab aus meiner Sicht Wichtigeres – den Aufbau-Ost und die föderale Verteilung von Bundesinstitutionen zu diskutieren und durchzusetzen. Heute ärgere ich mich, das Thema Einwanderungsland und Integration den guten Menschen mit deren Milchglasblick auf die gesellschaftlichen Folgen ihres guten Tuns überlassen zu haben.
Im Vorfeld der 1993er Asylrechtsänderung im Artikel 16 GG versandte ich in meiner Fraktion einen Brief, in dem ich mich mit der Begrifflichkeit Einwanderungsland auseinandersetzte und eine sachdienliche Diskussion anmahnte. Mein damaliger Tenor ist schnell beschrieben: Meinten die „Deutschland ist ein Einwanderungsland“-Diskutanten, dass Deutschland tatsächlich ein Einwanderungsland sei oder meinten sie, dass Deutschland ein Land sei, in welches viele Menschen einwandern wollen? Hinzu fügte ich, dass im ersteren Fall – also unser Land ein Einwanderungsland sei – sich Deutschland dann auch so verhalten sollte und die SPD dies dann folgerichtig in der gebotenen Stringenz einfordern müsse.
Ein Einwanderungsland leidet Mangel an Fachkräften. Deshalb legt ein Einwanderungsland fest, welche und wie viel Menschen mit welcher Qualifikation es in eigenem Interesse benötigt. Mehr nicht, aber auch nicht weniger macht ein klassisches Einwanderungsland aus. In diesem völkerrechtlich gebrauchsfähigen Kontext ist die Bundesrepublik kein Einwanderungsland. Wir legen eben nicht fest, wen wir nach Deutschland holen oder einlassen wollen. Meinten die pro-Einwanderungsland-Verfechter allerdings, dass Deutschland ein Land ist, in welches viele Menschen einwandern wollen, dann hätten sie dies genau so sagen müssen. Das ist Tatsache und macht aus Deutschland doch kein Einwanderungsland, höchstens ein offenes Zuzugsland – so dies überhaupt politisch gewollt und gesellschaftlich toleriert ist.
Thilo Sarrazin analysiert und argumentiert in seinem Buch klar sozialdemokratisch. Es ist die Pflicht eines Sozialdemokaten, zu sagen, was ist, wo die Defizite und die Chancen liegen und wie diese wo ergriffen werden müssen. Dass Sarrazin auch irrt und Nichtjedermann’s Wege geht, gehört zu einem Diskussionsprozess wie diesen. Was bringt Sarrazin denn alles auf den Diskussionstisch? Was ist schlimm daran, dass er nach den Gründen für massive Bildungsdefizite in großen Teilen der sogenannten Unterschicht und im Migrantenbereich sucht und dies zwangsläufig mit Blick auf die verschiedenen kulturellen und religiösen Hintergründe tut? Es kann doch nur eine Binsenweisheit sein, das Menschen, die nach Deutschland kommen, sich integrieren wollen müssen?
Wie sollen diese Menschen denn überhaupt Chancen auf Teilhabe und Mitmischen haben, wenn sie Grundlegendes über die Majoritätskultur, über die vorherrschende Muttersprache, über Kultur, Geschichte, Religion, Demokratie und Staatsaufbau nicht wissen oder gar nie wissen wollen? Diese Dinge gehören zu den Bringepflichten von Menschen, die kürzer oder länger oder für immer in Deutschland leben wollen! Das so etwas überhaupt beschrieben werden muss, schon dies ist eine Nachricht aus Absurdistan! Was Sarrazin selbstverständlich auch tut und was seine Kritiker, von denen die meisten sein Buch nicht einmal gelesen haben dürften, völlig verschweigen, sind seine Vorschläge zur Verbesserung der Bildungssituation, die einen großen Teil seines Buches beanspruchen.
Kindergartenpflicht, Ganztagsschule, kostenlose Schulverpflegung, Beseitigung des Bildungswirrwarrs im föderalen System – all das ist doch sozialdemokratisch und Sarrazin schließt Niemanden und keine Gruppe davon aus! Nirgendwo tut sich auch mit der größten Böswilligkeit eine Forderung nach „Migranten und Ausländer raus“ auf! Im Gegenteil, wer hier lebt, wird integriert – aber er/sie muss es wollen, muss sich bilden, muss unsere Verfassung über seine Kultur und Religion stellen und muss seinen Beitrag zum Sozialstaat Deutschland leisten wollen. Eigentlich selbstverständlich, oder? Im Gegenzug wird ihm/ihr dieser Sozialstaat die gleichen Chancen bieten, wie allen hier lebenden Menschen.
Die SPD täte gut, kluge und reale Köpfe wie Sarrazin in ihren Reihen zu halten. Im Ausschlussfall würde sie sich ein weiteres Mal geistig ärmer machen. Verleumdungen von oberer SPD-Kanzel wie „Anleitung zur Menschenzucht“ (Gabriel) sind „wenig hilfreich“ (jüngst Frau Merkel über Sarrazin), außerdem ist der abstruse Vorwurf aus seinem Buch nicht heraus lesbar. Meine Partei hatte sich bereits an Wolfgang Clement verheben wollen, aktuell versucht sie dies mit Sarrazin. Okay, kann sie machen.
Doch gäbe es noch mehr offene Wunden, die sie allerdings nicht zu maßregeln gedenkt. Ich denke an die innenpolitische gefährliche Diskussion, ob es statt linkem und rechtem nur rechten Extremismus gibt oder an die Koalitionen mit einer Partei, in deren Mitte jede Menge Gegner des politischen Systems verdorbene Suppen kochen. Anders als Thilo Sarrazin mache ich mir keine Sorgen um Deutschland, wenn die hier lebenden Menschen mit und ohne Migrationshintergrund Deutsch lernen und sich über Generationen in dieses – dann ihr – Land einbringen. Das Land wird nach dieser Vorstellung Deutschland bleiben. Panta rhei.
Das Römische Reich hat es doch mehrere Jahrhunderte vorgemacht. Römer war der, der das römische Bürgerrecht besaß. Und das wurde klug vergeben. Im Cäsarenreich konnten Nichtitaliker wie die Spanier Trajan (unter ihm war Rom geographisch am größten) und Hadrian oder Nordafrikaner wie Septimus Severus Kaiser sein. Der Untergang Roms hatte andere Ursachen so wie sich Deutschland nicht abschafft, wenn alle darauf achten, dass alle zur Sprache, zur Verfassung und zu diesem demokratischen und freien Staat stehen und damit über Generationen zu Deutschen (nur immer etwas anders) werden.
Sarrazin schreibt auch über Gene und hebt dabei ein virtuelles (?) spezielles jüdisches Gen hervor. Was sagt er denn damit? Dass es vielleicht (in Israel laufen diesbezüglich Forschungen) ein jüdisches Gen unter vielleicht 30 Tausend menschlichen Genen gibt – wo ist hier das Problem? Vielleicht gibt es ja sogar ein katholisches Gen oder ein muslimisches? In beiden großen Gruppen wird seit vielen Jahrhunderten geheiratet, werden Kinder vorwiegend innerhalb der Religionsgemeinschaft gezeugt. Möglicherweise hat sich da genetisch in Wechselwirkung mit der kulturell-sozialen Umwelt auch etwas Klitzekleines getan? Oder unter den strengen Atheisten, die sich mit religiösen Menschen nicht verbinden? Andere Menschen entstehen daraus mit Sicherheit nicht, was Sarrazin eindeutig nicht behauptet oder meint!
Für den Fall, dass meine Partei jetzt der Versuchung anheimfällt, mich auszuschließen, tu ich schnell noch kund, ich bin zudem kein globaler Erwärmungsfanatiker! Allerdings bitte ich um Beachtung meiner regionalen Herkunft. Ich stehe zu meiner Sozialisation in Ostdeutschland. Und das heißt: Eine Partei, die politisch allmächtig ausschließen will, muss den Delinquenten zuführen (können), was heutzutage für eine Partei gar nicht so einfach ist. Ohne diese ostdeutsche Vorzugsbehandlung sieht mich jedenfalls kein Parteigericht.“