Am 23. August 1990 beschloss die erste freigewählte Volkskammer der DDR den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland und damit zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. Vorausgegangen waren der
glückliche Ausgang des Volksaufstandes in Leipzig zwischen dem 9. und
16. Oktober 1989, viele Montagsdemonstrationen in der gesamten DDR, der Mauerdurchbruch am 9. November 1989, der anhaltende Druck auf den Straßen und Plätzen bis zu den
Volkskammerwahlen und deren entscheidendes Votum für die Deutsche Einheit.
Feierstunde 25 Jahre später
Am 23. August 2015 beging die
Ostbeauftragte der Bundesregierung den Beitrittsbeschluß von 1990 im Rahmen einer Feierstunde im Rohbau des Humboldtforums in Berlin. Hätte die Ostbeauftragte sich dieses Anlasses nicht
angenommen, er wäre sicher sang- und klanglos medial untergegangen. Dies wirft Fragen auf und läßt mich Vorschläge formulieren.
Die Volkskammer als höchste parlamentarische Ebene der seit dem Herbst 1989 zunehmend freien und seit dem 18. März 1990 mit einer demokratischen Volksvertretung ausgestatteten DDR beschloß den Beitritt zur Bundesrepublik und schuf mit diesem Akt die Bundesrepublik des Geburtsjahrganges 1990.
Sachwalter der früheren Volkskammer und
des früheren Bundestages wurde damit das neue gesamtdeutsche Parlament. Wenn dies so korrekt wiedergegeben ist, dann geht zwar die Anerkennung für die Veranstaltung vom 23.8.2015 an die
Ostbeauftragte, doch steht unmißverständlich fest, Ausrichter der Ehrung der Volkskammer und ihres Beschlusses zum Beitritt hätte zumindest der Deutsche Bundestag sein müssen! Sache der
Bundesregierung oder von deren Ostbeauftragten war es staatsrechtlich keineswegs.
Neben dem Deutschen Bundestag stünde auf gesamtdeutscher Ebene noch der Bundespräsident in Verantwortung für die Belange der freigewählten Volkskammer in der Pflicht!
Der Bundespräsident wird von der
Bundesversammlung gewählt, die auf Grund des Beitrittsbeschlusses von 1990 um die Vertreter der sogenannten Neuen Bundesländer samt des Ostteils von Berlin größer geworden ist.
Die Bedeutung des in der deutschen
Geschichte arbeitsintensivsten Parlaments „10. Volkskammer" ist historisch sehr hoch, in der öffentlichen Wahrnehmung genießt sie ein Schattendasein. Die (staatsrechtliche) Behelfsveranstaltung
vom 23. August 2015 bestätigte leider diesen Eindruck.
Ehrung des Beitrittsbeschlusses
Solange die staatsrechtlich passenden höchsten deutschen Institutionen die Ehrung des Beitrittsbeschlusses nicht in ihre Verantwortung nehmen, genauso lange wird der Beitrag der Volkskammermehrheit zu dauerhafter, gesicherter Demokratie für Ostdeutschland innerhalb der Bundesrepublik und Europas eine Nebenrolle spielen.
Es war aber die Mehrheit der Volkskammerabgeordneten, die am 23. August 1990 mit ihrem Beitrittsbeschluß die Ergebnisse der Friedlichen Revolution 1989/90 vor möglicher Rückabwicklung in einer schwachen und weiterhin sowjetisch/russisch besetzten DDR endgültig sicherten. Unsere gerade gewonnene Freiheit haben wir 1990 faktisch in die Einheit hinübergerettet.
Bereits 10 Monate später ging dieses Licht
vielen Ostdeutschen nachhaltig auf. Der 91er Putsch in Moskau hätte auch anders ausgehen können. Dann wären wir alle noch in der Falle gewesen und keine alte Bundesrepublik, keine NATO hätten uns
helfen können.
Ein Blick in die
Geschichtsbücher
Die
Drehbücher hierzu hätten nicht einmal neu geschrieben werden müssen. Deren praxiserprobte Vorlagen funktionierten die ganze sowjetische Besatzungszeit im Ostblock bis 1989/91. Ein Blick in die
Geschichtsbücher ist immer hilfreich:
1953 Volksaufstand DDR
1956 Volksaufstand Ungarn und Polen
1961 Mauerbau
1968 Niederschlagung Prager Frühling
1981-1983 Militärdiktatur Polen
1987-1991 Singende Revolution im Baltikum.
All diese freiheitlichen Volkserhebungen endeten in Blut, Tod, Gefängnis, Lager.
Wer glaubt, wir wären im Falle einer sowjetisch gestützten Rückabwicklung der Friedlichen Revolution ungeschoren davon gekommen, der möge seinen Arzt wechseln.
Ohne die Deutsche Einheit von 1990 würden heute Putins Truppen die wiedergenesene SED in jeder Kreis- und Bezirksstadt stützen und uns vor zuviel Freiheitssehnsucht massiv schützen.
Die kleine, arme DDR hätte nämlich nach
1990 nicht einmal das Geld gehabt, um den Abzug der russischen Truppen zu bezahlen, geschweige denn hunderte von Milliarden DM/EUR in die wirtschaftliche, soziale und infrastrukturelle Genesung
stecken können.
Mögliche
Rückabwicklung
Die
Mehrheit der Abgeordneten der 10. Volkskammer der DDR schützte mit dem Beitrittsbeschluß vom 23. August 1990 die Ergebnisse der Friedlichen Revolution vor möglicher Rückabwicklung. Dies gebührt
ihnen Respekt und Dank des gesamten deutschen Volkes!
Dafür möge sie der Bundespräsident mit dem Bundesverdienstorden am Bande der Bundesrepublik Deutschland auszeichnen. Hiervon ausgenommen bleiben selbstverständlich ehemalige MfS-Zuträger und -hauptamtliche Mitarbeiter im Volkskammerabgeordnetengewand.
Dies gilt gerade auch vor dem Hintergrund der kürzlichen Klarsfeld-Auszeichnung, die ohne aktive Beihilfe des MfS nicht einseitig Verbrecher hätte jagen können.
Bundespräsident und Bundestagspräsident
sind aufgefordert, den Beitrittsbeschluß der 10. Volkskammer der DDR zukünftig an Stelle der Bundesregierung oder einer ihrer nachgeordneten Bereiche in geeignetem Rahmen zu würdigen.
Die erste freigewählte Volkskammer der DDR war ein höchstes deutsches Parlament und keine nachrangige Gebietsvertretung.