· 

1989/90: Dritter Weg oder Deutsche Einheit?

 

Gunter Weißgerber                                                                                                   27.04.2014

 

 

 

1989/90: Dritter Weg oder Deutsche Einheit?

 

2014: Die Entscheidung für Deutsche Einheit war richtig!

 

 

 

Vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse in der Ukraine und dem 25. Jubiläumsjahr Friedliche Revolution/Samtene Revolution im ehemaligen Ostblock lohnt ein Blick zurück auf den innerostdeutschen Disput von 1989/90 „Dritter Weg oder Deutsche Einheit“.

 

 

 

Wären 1989/90 die Weichen für den Dritten Weg gestellt worden, hätten wir heute wahrscheinlich noch immer russische Truppen in einer tapezierten[1] und längst in alte Verhältnisse zurück gefallenen DDR. Zum Glück entschied sich die breite ostdeutsche Mehrheit am 18. März 1990 für den schnellen Weg zur Deutschen Einheit und entzog sich damit kollektiv dem damaligen und allen zukünftigen Zugriffen der Sowjetunion bzw. Russlands. Damit stehen die am 9. Oktober 1989 errungene Freiheit und die infolge dessen am 3. Oktober 1990 gewonnene Sicherheit in der Deutschen Einheit als gleichbedeutende wichtigste Ergebnisse der friedlichen Revolution in der damaligen DDR.

 

Die Deutsche Einheit bot jedoch Sicherheit in zweierlei existenzieller Hinsicht. Den außenpolitischen Aspekt beschrieb ich gerade. Innenpolitisch musste der gesellschaftliche und politische Einfluss der SED und des MfS unter dann 82 Millionen Wohnbevölkerung drastisch sinken. Restaurative Entwicklungen würden dadurch mit sehr großer Wahrscheinlichkeit eine deutliche Chancenverschlechterung erfahren.

 

Last but not least: auch für die ehemals westdeutsche Bevölkerung nahm die Sicherheit infolge der Selbstbefreiung der Ostdeutschen und ihres Entschlusses für die Deutsche Einheit zu. Standen die sowjetischen Truppen bis 1994 an der Elbe, stehen die russischen Truppen heute viele hundert Kilometer weiter östlich. Ob wohl dieser Aspekt zwischen den Alpen und Schleswig-Holstein mit einem Gefühl der Dankbarkeit bereits gut verankert ist?

 

                                                                                                                      

 

Mit der Deutschen Einheit vom 3. Oktober 1990 wurde das Gebiet der DDR Teil der Bundesrepublik, Teil der Europäischen Union und sicherheitspolitisch Teil der NATO. Dies geschah in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und in fairen Verhandlungen mit den 1945er Siegermächten sowie den Nachbarn der Bundesrepublik Deutschland. Völlig konträr ist hierzu Putins Krimannexion zu sehen, mit der ein völkerrechtlich einem anderen Staat zugehöriges Territorium annektiert und damit das Budapester Memorandum (http://de.wikipedia.org/wiki/Budapester_Memorandum) von 1994 (in dem die Ukraine auf ihre Atomwaffen verzichtete) gebrochen wurde. Bekanntlich war das von der sowjetischen Armee besetzte UN-Mitglied DDR keinem anderem Staat zugehörig und die Wahlen vom 18. März 1990 hatten den Charakter einer Volksabstimmung mit einem beeindruckenden Votum zur Deutschen Einheit.

 

Die Krimannexion 2014 und die Deutsche Einheit völkerrechtlich gleichbedeutend und gleichwertend auf eine Ebene zu stellen, das ist KGB-Manier und erinnert an die dunklen Zeiten der sowjetischen Besetzung Ostdeutschlands und des Ostblocks. 

 

 

 

Wer sich 1989/90 pro Einheit/Wiedervereinigung aussprach, musste akut damit rechnen, als Konterrevolutionär, als Faschist, als Nazi usw. verunglimpft zu werden. So ein Etikett konnte lange und ehrenrührig haften bleiben. Davon kann ich persönlich eine Menge idiotischster Geschichten aus eigenem Erleben schildern.

 

 

 

 

 

I Empathie mit Gorbatschow

 

Mit dem 9. Oktober 1989 von Leipzig wehte nicht nur frischer Wind durch die DDR, wurde nicht nur die auf sowjetischen Waffen beruhende Alleinherrschaft der SED und ihrer Geheimpolizei MfS beendet. Mit zunehmender Sicherheit, dass Gorbatschow seine Truppen doch nicht marschieren lassen würde, konnte auch der künftige Weg der DDR offener diskutiert werden.

 

Galt bis zum 9. Oktober die Hoffnung, der Tag von Leipzig würde friedlich ausgehen, wurde danach die Suche nach der richtigen Balance in den politischen Forderungen bestimmend. Weder durften Provokateure unter den Demonstranten Anlass zum Einschreiten der Staatsmacht geben, noch sollte der Apparat zum Amoklauf auch ohne Sowjetunterstützung gereizt werden.

 

Hätten SED und MfS damals gewusst, dass es nicht nur einen Tapetenwechsel in einer weiterbestehenden DDR geben, sondern dass der ganze Laden in Kürze weggeräumt werden würde, der Herbst 1989 wäre niemals unblutig verlaufen. Auch die Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte hätte mit hoher Wahrscheinlichkeit zum damaligen Zeitpunkt eingegriffen. Gorbatschow stand zu diesem schwer unter Druck, ein mächtiger Teil der Führung der Westgruppe wollte noch im Dezember 1989 dem faschistischen Putsch in der DDR ein gewaltsames Ende bereiten. So widersprüchlich es heute auch klingen mag, wer damals die Freiheit in der Einheit sichern wollte, der durfte gerade Gorbatschows Position nicht zusätzlich unterminieren und seinen großen innersowjetischen Widersachern Munition zum Losschlagen sozusagen frei Haus liefern. Dies wussten die hunderttausende Demonstranten Montag für Montag in der gesamten DDR, dies beherzigten die Demonstranten, die sich plötzlich als Redner auf den Tribünen der friedlichen Revolution wiederfanden. Antisowjetische Plakate, Rufe, Reden gab es meines Wissen in jener Zeit nicht. Der „sowjetische Bär“ musste unbedingt friedlich bleiben können, wollte man sich die Chance erhalten, ihn dauerhaft weit weg Richtung Osten in seinen Grenzen zu wissen. Zudem gerade der damalige „Chefbär“ den friedlichen Übergang erst ermöglichte, seine Tatzen (Panzer) in den Hangars ohne laufenden Motor stehen ließ. Dank Gorbatschow fühlten sich SED/MfS richtig allein zu Haus (Anlage Schreiben AfNS-Schreiben v. 9.12.1989).

 

 

 

Dass dies alles von sowjetischer Seite sehr genau beobachtet wurde, erfuhr ich nachhaltig am Rande des SPD/DDR-Parteitages vom 22.-25.02. 1990 in Markkleeberg vom sowjetischen Vizekonsul Mesherjakow (so stellte er sich mir vor) persönlich. Dieser war als Gast die gesamten vier Tage anwesend und nutzte die Gelegenheit zum Gespräch mit etlichen Sozialdemokraten, darunter auch mit mir als dem Redner dieser neuen Partei in der Region Leipzig. Er sagte mir, dass meine „regelmäßigen Äußerungen von sowjetischer Seite aufmerksam verfolgt und bezüglich der Sowjetunion als ausgewogen und angemessen erachtet würden“. Ziemlich erstaunt fragte ich sofort nach seiner tatsächlichen Kenntnis meiner öffentlichen Ausführungen. Sein „genaues Wissen dürfe ich getrost voraussetzen“, bedeutete er mir damals sehr hintergründig. Zum Beweis zog er einen Zettel aus seiner Jackentasche und zitierte eine entsprechende Passage meiner Rede vom 22. Januar 1990: „Die Probleme Gorbatschows im Kaukasus sollten niemanden übermütig oder schadenfroh wer­den lassen! Sollte der Kessel Sowjetunion platzen - dann werden auch wir die Splitter abbekom­men! Allein schon im Interesse der deutschen Frage müssen wir für Gorbatschow hoffen!“ Der Beifall auf dem Platz war damals sehr groß, was als Stimmungsbild für die sowjetische Seite dem Manne nach beruhigend wirkte. 

 

 

 

II Ein alter Trick des KGB: der diffuse Faschismusvorwurf

 

Putins heutige Trickkiste bietet in dieser Hinsicht wenig Überraschendes. Für ihn ist die neue (Übergangs-)Regierung in Kiew der Einfachheit halber eine faschistische Junta. Das ist simpel und verfängt bei vielen Menschen. Das weiß Putin, deshalb sagt er es auch genauso.

 

Eingesetzt wurde diese Regierung jedoch von der Parlamentsmehrheit, die bis zu Janukowitschs Flucht als prorussisch galt und mit der Putin bis dato glänzend lebte. Hätte Putin Recht, dann mutierten sozusagen über Nacht seine antifaschistischen Unterstützer zu lupenreinen Faschisten.

 

 

 

An dieser Stelle lohnt ein erneuter Blick zurück in den Herbst 1989 nach Leipzig und in die gesamte DDR. Damals ging es ganz schnell mit den Unterstellungen, wonach sich zunehmend Faschisten unter den DDR-kritischen Demonstranten befinden würden. Erinnert sei als Höhepunkt dieser Strategie an das bis heute nicht geklärte Spektakel vom 3. Januar 1990 am Treptower Ehrenmal als die Gysis der DDR den Ostdeutschen den kommenden rechtsradikalen Popanz auftischten:

 

 

 

(.http://books.google.de/books?id=YLRrg_SjPyIC&pg=PA60&lpg=PA60&dq=gysi+antifaschismus+treptower+park&source=bl&ots=-q0tTdwDzC&sig=Revbm_yDAAkE8jV-nr6QS-hxgTs&hl=de&sa=X&ei=f9VcU6PCJsfKsgbl0oDAAw&ved=0CEEQ6AEwAw#v=onepage&q=gysi%20antifaschismus%20treptower%).

 

 

 

Alles nach dem schlichten Lied „Die DDR ist antifaschistisch. Die Einheit wird faschistisch. Seid Ihr für den Frieden und den Antifaschismus? Dann könnt Ihr nicht für die Einheit sein!“

 

Nutznießer dieses Klamauks wäre auf jeden Fall neben SED/PDS der Nachfolger des MfS, das AfNS geworden.

 

 

 



[1] [1] Am 9. April 1987 gab Hager in einem Interview mit der bundesdeutschen Illustrierten Stern zu den Reformen Gorbatschows in der Sowjetunion die Antwort:„Würden Sie, nebenbei gesagt, wenn Ihr Nachbar seine Wohnung neu tapeziert, sich verpflichtet fühlen, Ihre Wohnung ebenfalls neu zu tapezieren?“

 

 

 

Diese Rechnung ging nicht auf. Mit Beendigung der demonstrationsfreien Weihnachtspause wurden im Januar 1990 die Demonstrationen wieder mit voller Kraft aufgenommen und damit beinahe zwangsläufig die Weichen gegen den Dritten Weg und für die Deutsche Einheit (in Sicherheit) gestellt.

 

 

 

III Der Runde Tisch Leipzig verliert den Anschluß an die demonstrierende Bevölkerung

 

Schon Wochen vor dem Mauerfall am 9.11. 1989 rumorte lauter und kraftvoller werdend der Disput um den Dritten Weg (http://www.bpb.de/apuz/32883/der-vergessene-dritte-weg?p=all) oder die Deutsche Einheit unter den Demonstranten. In der Leipziger Gründungsveranstaltung der SDP am 7.11.1989 wurde die Frage diskutiert und die diesbezügliche vermeintliche Unklarheit zur Deutschen Frage im SDP-Schwante-Statut vom 7.10.1989 massiv hinterfragt.

 

Mit dem Wandel des Charakters der landesweiten Demonstrationen 1989/90 vom getragenen Freiheits- und Reformwillen hin zum getragenen Freiheits-, Einheits- und Sicherheitswillen kam spürbarer Druck seitens der Verfechter eines DDR-Erhalts und eines Dritten Weges auf.

 

Ausgerechnet Christa Wolf, Stefan Heym und andere setzten de facto die nationale Frage mit ihrem Aufruf vom 26.November 1989 „Für unser Land“ in grandioser Fehleinschätzung der tatsächlichen Stimmung auf die DDR-mediale Tagesordnung und beschleunigten damit entgegen ihres erklärten Willens den Zug zur Deutschen Einheit erheblich. Es gab keine Mehrheit, die ein weiteres Experiment im sozialistischen Labor ausleben wollte. Die Verfasser schrieben „Unser Land“ und meinten damit Ihren Staat DDR. Das Land DDR gab es aber (wenn überhaupt) nur für die Gläubigen der SED, zu keinem Zeitpunkt für eine Mehrheit der Bevölkerung. Im Anhang dazu meine Rede vom 27.11.1989 als direkte und öffentliche Antwort auf den Aufruf von Wolf und Heym vom Vortage sowie die Rede von Elke Urban vom 4.12.1989.

 

 Der Aufruf „Für unser Land!“ wurde anstelle der vorherigen kommunistischen Tagespropaganda in allen DDR-Medien abgedudelt. Der Leipziger Gegenaufruf von Johannes Wenzel (Anlage) ließ ebenfalls nicht lange auf sich warten, hatte aber nur das Sächsische Tageblatt und wenig später die LVZ als regionale Medien zur Verfügung, dafür aber die hunderttausenden wöchentlichen Demonstranten  in Leipzig auf seiner Seite. Hier konnten wiederum die Gysis der DDR nicht mithalten. Die Weihnachtspause 1989 kam deshalb wie ein Geschenk des Himmels für die DDR-Erhalter und sollte aus deren Sichtweise am liebsten auch bis zu den Wahlen anhalten. Das klappte nicht. Die Bevölkerung roch den Braten und drängte danach, mittels kraftvoller Demonstrationen die „Lufthoheit“ gegen die in der Weihnachtspause blizzardähnlich aufkommende SED-Wiederbelebungskampagne wieder zurückzuerlangen. In Leipzig beklagte der Moderator des Rundes Tisches Magirius[1] schon geraume Zeit eine angebliche Radikalisierung und starke aufkommende rechte Tendenzen im Klima der wöchentlichen Demonstrationen. Besonders kritisch sah er die inzwischen obligatorischen tendenziell pro-Einheit gehenden Kundgebungen vor den Demonstrationen um den Leipziger Ring. Die Kundgebungsredner sollten das dämpfen, aber nicht noch den Drang zur Wiedervereinigung ankurbeln! Er überzeugte sogar am 2. Januar 1990 den Runden Tisch in Leipzig, auf die Kundgebungen künftig zu verzichten. Was die Demonstrationen zum Erliegen gebracht hätte. Spätestens mit diesem Beschluss stand der Runde Tisch in Leipzig im falschen Film und verlor entscheidend an Achtung.

 

 

 

Am 8. Januar 1990 versuchte Magirius die Koordinatoren und ständigen Redner vom Beschluss des Runden Tisches Leipzig zu überzeugen. Natürlich völlig chancenlos!

 

Geladen hatte er den Polizeichef, Jochen Lässig/NF, Thomas Rudolph/IFM, Gunter Weißgerber/SDP und Gudrun Neumann als Koordinatorin der Kundgebungen.

 

Die Argumentation Magirius‘ war so schlicht wie fadenscheinig. Die Demonstrationen entglitten zu nationalistischen Randalen und würden die öffentliche Sicherheit (drei Monate nach derselben Argumentation seitens der SED gegenüber den Montagsdemonstrationen!) und die Reformierung der DDR gefährden. Auf Seiten seiner demonstrationsfreudigen Gäste wurde dies alles als irrelevant und maßlos überzogen abgelehnt. Stattdessen wurde mit dem massiv vorhandenem Bevölkerungswillen zu weiteren Demonstrationen, weiteren Veränderungen und der freien Entscheidung in den kommenden freien Wahlen über den weiteren Weg argumentiert. Würden die Demonstrationen nicht weitergehen, würden noch viel mehr Menschen den Weg nach Westdeutschland wählen. Das Volk in seiner Mehrheit saß auf innerlich gepackten Koffern. Die Demonstrationen würden aber mit absoluter Sicherheit nur weitergehen, wenn weiterhin politische Kundgebungen vorgeschaltet blieben. Die Menschen wollen frei wählen und wollen wissen, wer die neuen Kräfte repräsentiert und vor allem, was deren politische Vorstellungen sind. Magirius musste unseren Willen zu Kundgebungen und Demonstrationen zur Kenntnis nehmen.

 

 

 

Wie Magirius am 8. Januar erging es am 23. Februar 1990 dem damaligen Leipziger SPD-Kreisvorsitzendem, der mit mir am Rande des Markkleeberger DDR-Parteitages (22.-25.2.1989) intensiv sprach, ich solle für die SPD nicht mehr montags an das Mikrofon gehen. Er tat dies auf Drängen der  Gruppe um Magirius und vielleicht auch im Sinne des Lafontainschen SPD-Flügels. So genau weiß ich das nicht, es spielt auch keine Rolle. Der Mehrheitsauffassung in der Leipziger SPD entsprach dieser Vorstoß keinesfalls. Ich entgegnete, es würden ohnehin nur noch drei Kundgebungen bis zur Volkskammerwahl stattfinden und ein Ausscheiden der SPD zu diesem Zeitpunkt würde als Eingeständnis wirken, dass die SPD nicht die Einheit wolle. Außerdem würde ich nur noch zweimal reden und den letzten Montag vor der Wahl wäre es besser, der Kreisvorsitzende würde selbst sprechen und zur Teilnahme an der Wahl aufrufen.

 

 

 

Am 18. März 1990 fand die erste freie Volkskammerwahl in der DDR statt. Das Votum war eindeutig. Die Allianz für Deutschland (CDU, DA, DSU) erhielt 48,1 Prozent, die SPD 21,8 Prozent, der Bund Freier Demokraten 5,3 Prozent. Die Befürworter der Deutschen Einheit, die sich nur in der Geschwindigkeit des Einigungsprozesses unterschieden, bekamen damit 75,2 Prozent von der Wahlbevölkerung, die zu 98 Prozent an dieser Wahl freiwillig teilnahm.

 

Das Mandat war eindeutig. Die Gestaltung der Deutschen Einheit war der hauptsächliche Auftrag dieser Wahlen an das erste freie Parlament der DDR. Die SPD-Volkskammerfraktion nahm den Auftrag an und ging auf das Koalitionsangebot von Lothar de Maizière

 

ein.

 

Selbstverständlich kann die Schilderung der speziellen Leipziger Ereignisse nicht für das gesamte Bild des Zuges zur Einheit stehen. Die Prozesse waren vielschichtig. Doch denke ich, so wie von mir in Leipzig geschildert, lief es andernorts ähnlich ab. Das Wahlergebnis jedenfalls sprach Bände.

 

 

 

Ein Blick auf die aktuelle Bundestagswebsite:

 

„Erste Sitzung der frei gewählten Volkskammer (05.04.1990)

 

Die erste und zugleich einzige frei gewählte Volkskammer der DDR konstituiert sich am 5. April 1990 im Palast der Republik. Der 10. Volkskammer gehören - einschließlich der Nachrücker - 409 Abgeordnete an. Nur drei Prozent der Abgeordneten sind auch schon Mitglieder der 9. Volkskammer gewesen. Zu ihrer Präsidentin wählen die Abgeordneten im zweiten Wahlgang die CDU-Abgeordnete Sabine Bergmann-Pohl.

 

Einstimmig hebt die Volkskammer die Präambel der Verfassung der DDR auf, wonach die DDR ein „sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern“ sein soll und auf den „Weg des Sozialismus und Kommunismus“ festgelegt ist.

 

Der CDU-Vorsitzende Lothar de Maizière wird mit der Bildung einer Regierung beauftragt. Bereits am 22. März 1990 haben sich die Parteien der „Allianz für Deutschland“ mit dem „Bund Freier Demokraten“ auf die Bildung einer Koalition geeinigt. Am 3. April 1990 gehen auch die Abgeordneten der SPD auf das Angebot der Allianz ein, an den Koalitionsgesprächen teilzunehmen. Damit verfügt die Regierungskoalition über 307 von 400 Mandaten und eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit.

 

Am 12. April 1990 wählt die Volkskammer Lothar de Maizière zum Ministerpräsidenten. In seiner Regierungserklärung vom 19. April 1990 nennt de Maizière als Hauptaufgaben der von ihm geführten Regierung die Herstellung der Einheit Deutschlands „so schnell wie möglich, aber so gut wie nötig“ sowie die Schaffung der rechtlichen Grundlagen für eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion.“

 

 

 

Deutsche Geschichten:

 

http://www.deutschegeschichten.de/zeitraum/themaplus.asp?KategorieID=1007&InhaltID=1629&Seite=15

 

 

 

IV Freiheit in der Sicherheit der Deutschen Einheit

 

Das Zeitfenster für die Sicherheit der Freiheit unter dem Dach der Einheit war 1989/90 für die meisten Zeitgenossen absehbar sehr klein. Wie wenig Zeit tatsächlich zur Verfügung stand, war erst mit dem Moskauer Putsch vom August 1991 voll ersichtlich. Obwohl, wie bereits erwähnt, der auf Gorbatschow lastende innenpolitische Druck die gesamte Zeit enorm war. Die vielen ständigen Demonstranten jedenfalls wussten dies sehr gut.

 

Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3.Oktober 1990 war die direkte Folge der in historisch einmaligen Rahmenbedingungen erfolgreichen Selbstbefreiung der Ostdeutschen  und ihres Willens, die Früchte dieser Selbstbefreiung möglichst dauerhaft zu sichern. Nur die Deutsche Einheit, die die EU-und NATO-Mitgliedschaft implizierte, vermochte dies zu gewährleisten. Wer anderer Meinung ist, und das ist natürlich legitim, soll sich bitte in diesem Fall den Dritten Weg der DDR als einen sehr harten Gang ohne großzügige Hilfen gemeinsamer Landesteile (einen Finanz- und Solidarausgleich kann es nur in einem einheitlichem Staatsgebiet geben), mit einer längst wiedererstarkten Schicht aus SEDPDS/MfS/AfNS und einer weiterhin andauernden sowjetischen/russischen Besetzung vorstellen. Da nicht jeder sowjetische/russische Generalsekretär/Staatspräsident ein fairer Staatsmann wie Gorbatschow sein kann oder wird, muss dann damit klarkommen, dass die jetzigen Verbände der sowjetischen/russischen Westgruppe in (Ost-)Deutschland/DDR von einem Autokraten wie aktuell Putin befehlsmäßig geführt werden würden. Genau hier sollte sich jeder die Frage stellen, was persönlich sympathischer wäre? Das demokratische „Weichei-System“ Westeuropas oder Putins gewalttätiger Zentralismus mit dem zunehmenden Absterben von Freiheit?

 

Ich persönlich bin froh, diese Alternativen nicht wirklich denken zu müssen. Der Westen ist gut beraten, eigene Defizite abzubauen, Lügen wie den Massenvernichtungsvorwand für den Irak-Krieg aufzuarbeiten, die schweren Foltersünden im Irak nicht wiederholen zu lassen, insgesamt wieder glaubwürdiger zu werden. Unsere Werte Freiheit, Demokratie, Rechtstaatlichkeit, unabhängige Medien sind unveräußerliche Grundpositionen, die nur durch tägliche Glaubwürdigkeit attraktiv wirken können. Unsere westliche Welt mag ich ohne die Nordamerikaner nicht denken, eine Rochade mit dem großen Nachbarn im Osten ist keine Alternative, schon wegen unserer dazwischen liegenden genau so wichtigen Nachbarn Polen, Estland, Litauen, Lettland, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien und Ukraine. Die haben vor so einer Vorstellung Angst. Ob begründet oder nicht, der Fakt bleibt als solcher bestehen. Immer wenn sich Deutschland/seine Vorgänger und Einzelstaaten und Russland über die Köpfe ihrer Nachbarn einig waren, mussten diese Nachbarn gehörig draufzahlen.

 

 

 

Allerdings muss es möglich sein, mit Russland wieder zu fairer Partnerschaft zu kommen. Was mit der kulturell völlig anders strukturierten Türkei viele Jahre möglich war und sicher wieder wird, muss mit einem uns kulturell viel näher stehendem Russland erst recht möglich sein! Selbstverständlich kann dies nur gelingen, wenn für Russland staatliche Grenzen wieder unverrückbar sind und die russischen Nachbarn ihren eigenen Weg selbst bestimmen können.

 

 

 

---------------------------------------------------------------------------------------------------------

 

 

 

Anlagen:

 

 

Helmut Schmidt „ Die Deutschen und ihre Nachbarn“, S. 312:

 

 

Fernschreiben vom 9. 12., 11.00 Uhr
Ministerpräsident
Amt. Staatsratsvorsitzender
Präsidium der Volkskammer
Minister für Innere Angelegenheiten / alle BDVP
Minister für Verteidigung
Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit / alle Bezirksämter für Nationale Sicherheit
Vorsitzender der in der Volkskammer vertretenen Parteien, Fernsehen und Rundfunk der DDR und ADN

 

Als Anlage erhalten Sie einen Aufruf zum Handeln.
Heute wir - morgen Ihr
Genossen, Kampfgefährten, Patrioten im In- und Ausland, Bürger der DDR

 

Von tiefer Besorgnis getragen über die gegenwärtige und sich weiter abzeichnende innenpolitische Situation in unserer sozialistischen Heimat, DDR, wenden wir uns an euch und an die, für die auch ihr Verantwortung tragt, mit einem Aufruf zum noch möglichen gemeinsamen Handeln für die Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und damit der Existenzgrundlage für den weiteren Bestand der DDR.

 

Unser Land befindet sich gegenwärtig in einer Phase der revolutionären Veränderungen, das Ziel soll und muss ein neuer, wahrer Sozialismus sein, mit dem wir uns eindeutig identifizieren. Diesen können wir jedoch nicht erreichen, wenn wir zulassen, dass unserem Staat Stück für Stück alle Machtinstrumente aus der Hand genommen (gegeben?) werden.

 

Beherzigen wir die Erkenntnis von Lenin über die Fragen der Macht.

 

Genossen, Bürger und Patrioten der unsichtbaren Front im In- und Ausland, wer mit Macht spielt, sie sich aus der Hand nehmen - lässt besonders während einer Revolution - in der wir uns zur Zeit befinden, der wird scheitern.

 

Der nutzt nicht uns, der dient der Reaktion.

 

Genossen, Bürger, heute richtet sich der Hass eines Teiles unseres Volkes, geführt durch eine Minderheit unserer Bevölkerung, gegen das ehemalige MfS und jetzige Amt für Nationale Sicherheit. In unserem Bezirksamt gibt es Erkenntnisse, dass Bestrebungen existieren, den 'Volkszorn', nachdem das Amt für Nationale Sicherheit zerschlagen ist, schnell auf die Strukturen und Kräfte der anderen bewaffneten Organe zu lenken, um diese ebenfalls zu zerschlagen. Sollte es uns allen gemeinsam nicht kurzfristig gelingen, die Anstifter, Anschürer und Organisatoren dieser hasserfüllten Machenschaften gegen die Machtorgane des Staates zu entlarven und zu paralysieren, werden diese Kräfte durch ihre Aktivitäten einen weiteren Teil unserer Bevölkerung gegen Staat, Regierung und alle gesellschaftlichen Kräfte aufbringen. Was kommt dann?

 

Sorgen wir also gemeinsam für diese unverzügliche Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit - und dies ist unsere Forderung gegenüber jedermann.

 

Genossen, Bürger, damit keine Zweifel aufkommen, auch wir sind für die Aufklärung und notwendige Bestrafung bei Fällen von Amtsmissbrauch, Korruption und ähnlichen Delikten.

 

Täglich erhalten wir zahlreiche Anrufe aus dem In- und Ausland, die zum Ausdruck bringen, dass wir alles in unseren Kräften stehende tun müssen, um unseren sozialistischen Staat im Interesse aller zu schützen und zu erhalten.

 

Diese berechtigte Forderung kann jedoch nur erfüllt werden, wenn die bewaffneten Organe unserer gemeinsamen Heimat DDR weiter bestehen und aktiv handeln können.

 

Dies schließt nach unserem Verständnis und den Praktiken und Notwendigkeiten aller entwickelten Staaten dieser Welt die Existenz eines Organs, welches mit spezifischen Mitteln und Methoden arbeitet, ein.

 

Das Kollektiv des Bezirksamtes für Nationale Sicherheit Gera und die Kreisämter.

 

-------------------------------------------------------------------------------------------------------------

 

 

Gunter Weißgerber                                                                                       

 

Auszug aus meinen Aufzeichnungen „Mein erstes Jahr in der Politik“

 

 

 

Montag, 27. November 1989                    
Für diesen Abend nahm ich mir die Anrede der Teilnehmer als Bewohner ihrer (noch nicht bestehenden) Länder als Anrede vor. Der Beifall für meine diesbezüglichen Eingangsworte war enorm.
Den Gedanken an die ehemals bestehenden Länder trug ich bereits geraume Zeit mit mir herum. Erstmalig äußerte ich entsprechende Vorstellungen öffentlich in einem Leserbrief Mitte Oktober '89 an die "Mitteldeutschen Neuesten Nachrichten" (veröffentlicht auszugsweise erst Mitte November nachdem dieser Gedanke erst durch die Blockflöten in der kommunistischen Volkskammer aufgenommen war!). Die Wiedereinrichtung der ehemaligen Länder sah ich als einen möglichen Einstieg in eine Wiedervereinigungsdiskussion an. Von deutscher Einheit zu reden, musste im Oktober 1989 noch als politisch sehr unvorsichtig eingeschätzt werden. Die Gefahr, SED und Stasi "wie schla­fende Hunde" zu wecken, war zu groß. Geboten schien mir im Oktober ein unauffälliges Annähern an die deutsche Frage zu sein, bei­spielsweise durch die Länderbildungsdiskussion angeregt. Länder gab es ja schließlich auch schon einmal unter den Kommunisten bis 1952...!
Die Situation hinsichtlich der deutschen Frage änderte sich er­wartungsgemäß rasend schnell von Woche zu Woche. So das ich am 27. November die deutsche Frage bewusst und für eine Partei in jener Zeit als erster überhaupt öffentlich ansprechen konnte (die Ostberliner Sozis hingen hier immer noch hinterher, obgleich es nach heutigen Zeitmaßstäben dann auch dort schnell genauso kam).

 

Die SDP vollzog an diesem Abend einen gewaltigen Sprung nach vorn in der Gunst der Leipziger Demonstranten. Ein Vorsprung, der erst mit Lafontaines Ellenbogenstrategie gegen den auf ihn zumarschierenden Osten und der „Gründung der Allianz für Deutschland“ wie Schnee in der Sonne des Augustusplatzes zu schmelzen begann. Ab Mitte Februar 1990 fühlte ich mich dann auf dem Balkon der Oper „eher allein zu Haus“. Als ostdeutscher Sozi den Leuten klar zu machen, dass die Einheit auch von der West-SPD gewollt war, das war halt sehr schwierig. Montags abends ich da oben zu den Leuten und von Dienstag bis Sonntag der Irrläufer aus Saarbrücken auf allen Kanälen - da war für mich wenig zu reparieren. Schade. Die SPD-Ost wurde am 18. März 1990 für die SPD-West vom Wahlvolk verdroschen. So wie die CDU-Ost für die CDU-West vom Wahlvolk gestützt, den politischen Himmel küssen durfte.

 

 

 

 

 

Rede GW vom 27. November 1989:                                              (Karl-Marx-/Augustusplatz)

 

(Es gilt das gesprochene Wort)
Guten Abend, Bürgerinnen und Bürger von Leipzig, werte Demonstranten aus Sachsen, Sachsen-Anhalt
(weiter kam ich nicht, donnernder Applaus setzte ein), Thüringen, Brandenburg und Mecklenburg. Ich begrüße Sie als Mitglied des Kreisverban­des Leipzig der Sozialdemokratischen Partei auf dem Karl-Marx-Platz, dem früheren Augustus­platz (Applaus). Mein Name ist Gunter Weißgerber. (Applaus)
Sehe ich mit heute alle Transparente oder höre ich mir Ihr Rufen an, so erkenne ich zwei Hauptfragen:
1. Freie Wahlen
(Applaus),
2. Die deutsche Frage
(großer Applaus).
Zu diesen Problemen, welche heute offenbar einen Großteil der in der DDR lebenden Deutschen bewegt, möchte ich meinen Standpunkt abgeben:
1. Freie Wahlen
Am 1. März 1863 (!) verfaßte Ferdinand Lassalle
(Applaus) ein offenes Antwortschreiben an die Leipziger Arbeiter. Darin formulierte er unter anderem:
1. Das allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht,
2. Die Bildung von Produktivgenossenschaften mit Staatshilfe
(Applaus).
Man möchte glauben die Zeit sei zwischen Elbe und Oder stehengeblieben. Und das seit 126 Jahren!
(Jubel)
Merken Sie etwas? Wenn heute LDPD, NDPD, DBD, CDU und allen voran die SED freie Wahlen und Förderung des Handwerks versprechen, dann haben die doch nichts anderes getan, als die 126 Jahre alte Forderungen der Sozialdemokratie zu ihren eigenen zu machen! Das ist mit geistigem Diebstahl vergleichbar! Und dies ausgerechnet durch Leute, welche bisher genau das Gegenteil getan und verkündet haben. Gerade die SED, die Newcomer im Vergleich zu uns, welche die Tradition der von ihr einverleibten Sozialdemokratie jahrzehntelang als "Sozialdemokratismus" geächtet und unterdrückt hat, wagt es heute, so zu tun, als ob alles vergeben und vergessen sei und jetzt "in Sozialdemokratie gemacht" wird. Ich denke, daß die Bürgerinnen und Bürger für diese unglaubliche Kehrtwendung ganz einfach zu feinfühlig sind, um der alten SED ihre neue Maske abzukaufen!
2. Zur deutschen Frage
(Donner)
Jawohl, die gibt es! Ein Scharlatan, der sie verleugnet!
(Jubel) Man braucht nur in Millionen deutsche Familien hineinzuschauen, und da sieht man sofort die Probleme der Trennung. Und wo Probleme bestehen, da sind naturgemäß auch Fragen! Deshalb zeugt es von sagenhafter Ignoranz der bis dato sich selbst zur Regierung emporgehobenen SED-Führung, zu sagen, daß es keine deutsche Frage gibt. Als ob es die Zerrissenheit Millionen deutscher Familien nicht gibt...! (der Platz tanzt schier vor Wonne)
Übrigens gibt es für mich auch kein Volk der DDR!
(Jubel) So wie es vielen Menschen hier immer ein Lächeln abrang, wenn offiziell von einer sozialistischen Nation die Rede war!
Es gibt ein deutsches Volk und das lebt in zwei deutschen Staaten. Das ist die Realität. Davon muß man ausgehen!
(Applaus)
Weiterhin sind die europäischen Realitäten zu beachten. Dies alles im Blick, kann man nur von einer Lösung der deutschen Frage im europäischen Rahmen sprechen. Diese Lösung ist natürlich nur innerhalb der Grenzen von 1945
(gemeint war/ist die Grenzziehung nach der Kapitulation) möglich! Sorgen wir mit für ein waffenloses und friedliches Europa - und die Selbstbestimmung der Nation ist möglich. Wir brauchen das Vertrauen der Nachbarvölker. Und dieses müssen wir uns durch Friedenspolitik erwerben! (Applaus)
Im Rahmen der Aufarbeitung des "realexistierenden Sozialismus" als Verbrämung des Stalinismus (Kommunismus) fordern wir die umfassende Rehabilitierung aller durch NKWD, KGB, Stasi, KPD und SED unschuldig verfolgten Demokraten seit Kriegsende!
Noch ein paar Worte zu unserer Programmforderung nach einer sozialen Marktwirtschaft. Wir wollen einen funktionierenden Markt, in dem der Einzelne sich tatsächlich bei viel Leistung auch viel leisten kann! Dabei ist darauf zu achten, daß durch die Besteuerung des Marktes optimale soziale Bedingungen geschaffen werden! Beide Begriffe - "sozial" und "Marktwirtschaft" - haben gleichrangige Bedeutung.
Noch zu den aktuellen Ereignissen in der CSSR. Neben anderen Rednern habe auch ich am 18. November auf dem Platz vor dem Reichsgericht die Invasion der sich sozialistisch nennenden Länder von 1968 verurteilt. Meine Forderung nach Einladung Alexander Dubceks nach Leipzig, um ihm die Ehrenbürgerwürde zu überreichen, wurde nach meinem Kenntnisstand noch nicht in Erwägung gezogen. Gerade die DDR hat die Pflicht, sich bei Alexander Dubcek und damit bei den Völkern der CSSR zu entschuldigen! Holt ihn lieber jetzt noch her, ehe Ihr ihn möglicherweise als Staatspräsidenten des Nachbarlandes sowieso an Eurer Seite dulden müßt!
Herr Krenz! Warum distanzieren Sie sich nicht von Ihrer Lobhudelei des chinesischen Massakers auf dem Platz des "Himmlischen Friedens"? Warum distanzieren Sie sich nicht von dem faschi­stoiden System in Rumänien mit dessen Conducator - auf gut deutsch: Führer - an der Spitze? Anläßlich der Ordensverleihung an diesen sozialistischen Monarchen waren Sie und das Politbüro auch nicht sprachlos!
(Applaus)
Zum Schluß noch ein Hinweis. Die SDP trifft sich immer montags um 17.00 Uhr am Bachdenkmal in der Innenstadt.

 

 

 

---------------------------------------------------------------------------------------------------

 



 

 

-------------------------------------------------------------------------------------------

 

Elke Urban zu ihrer Rede vom 4.12.1989:

 

Lieber Gunter, in einem Treffen des NF hatte ich mich als Einzige gemeldet, um Rainer Pietsch und den anderen Anwesenden (geschätzt ca. hundert Leuten) zu sagen, dass ich den Aufruf "Für unser Land" nicht unterschreiben werde, weil die DDR nicht mein Land ist und ich mir vor allem das Ende der DDR wünsche. Außerdem sagte ich noch, dass bei aller Wertschätzung einiger Unterzeichner dieser Text die Sprache des Kalten Krieges sei und einer Christa Wolf unwürdig. Da sahen mich alle an, als käme ich vom Mond.

 

 

 

Nach der Veranstaltung kamen dann zwei oder drei Leute zu mir, die meinten, dass sie genauso denken würden wie ich. Typisch DDR-Erziehung, dass sie mir das nur hinter vorgehaltener Hand hinterher sagen konnten. Als ich dann am Vormittag des 4.12. von Jochen Lässig hörte, was am Abend bevorsteht (Besetzung der Runden Ecke) war mir nochmal mehr bewusst, wie jedes Wort auf der Goldwaage liegt. Er bat mich auch inständig darum, nichts von der bevorstehenden Besetzung in meiner Rede zu sagen. Weil unten die zwei polarisierenden Gruppen (Rote raus, Nazis raus) schon ziemlich aggressiv waren, schob mich Frank Pörner schon zehn Minuten vor 18.00 Uhr auf den Balkon der Oper, damit ich dort meine Rede halten soll, um die Fanatiker etwas zu beruhigen. Es gibt nur einen kurzen ZDF-Mitschnitt, den ich nie gesehen habe, aber Freunde im Westen haben mir davon berichtet, die mich trotz weißer Strickmütze erkannt haben. Es gab wahnsinnig viel Beifall, so dass ich irgendwann zwischendrin gesagt habe: "Nun lasst mich doch mal ausreden!".

 

 

 

Dass ich Kohl nicht besonders mochte, hatte ich gesagt und dass ich aber sehr froh war, wenn endlich Demokraten das Thema der deutschen Wiedervereinigung in die Hand nehmen, denn das Thema steht auf der Tagesordnung (das war eine Anspielung auf Maggie Thatcher!) Deshalb war der Vorschlag mit der Konföderation genau richtig, auch wenn er von Helmut Kohl kam. "Sonst delegieren wir die Sache in die Hände der Neonazis, die es leider auch bei uns gibt und die dadurch enormen Zulauf bekommen. Das wollen wir nicht!"

 


Es war noch der Satz eingefügt: Das Tempo der Entwicklung und der Zeitpunkt der Einheit muß von den Bürgern selbst bestimmt werden, sicher in Absprache mit unseren europäischen Nachbarn. Es wäre folgenschwer, die Hilfsangebote der Bundesrepublik angesichts unserer miserablen Wirtschaftslage auszuschlagen.
Abschließend habe ich noch den DDR-Schriftsteller Rolf Schneider zitiert: "Wir würden ein Deutschland haben, das Frieden und Stabilität in Europa garantiert. Die Chance dazu gab es schon einmal in den fünfziger Jahren. Dass sie sich wieder bietet, ist ein geschichtlicher Glücksfall. Ein drittes Mal bietet sie sich gewiss nicht mehr."

 

Joachim Apitz / Inhalt seiner Rede vom 11.Dezember 1989:

 

Festrede GW 20 Jahre Deutsche Einheit auf Einladung Hans-Joachim Fuchtel MdB CDU

 

Freudenstadt, Altensteig, 3. Oktober 2007
Es gilt das gesprochene Wort!

Friedliche Revolution und Deutsche Einheit

Sehr geehrte Damen und Herren,
wie kommt ein Sozialdemokrat dazu, Festreden zum Tag der Deutschen Einheit auf CDU-Veranstaltungen zu halten? Die Antwort ist einfach.
Zuerst das Land, dann die eigene Partei!
Angefragt hat mich der CDU-Bundestagsabgeordnete Hans-Joachim Fuchtel. Warum sollte ich diese Bitte abschlagen?
Kollege Fuchtel ist Mitglied einer der demokratischen Parteien dieser Republik.
Wer die demokratische Konkurrenz als Feindschaft auffasst, mag damit Probleme haben. Ich habe nur Probleme mit den Feinden der Demokratie, links wie rechts.

Anrede,
für mich ist es noch immer wie ein Wunder, den Tag der Deutschen Einheit nicht mehr am 17. Juni nur im Westfernsehen ablaufen sehen zu können sondern statt dessen diesen Tag in Einheit und Freiheit mit Freunden aus allen Teilen Deutschlands begehen zu können.
Heute nun hat mich dieses Wunder nach Altensteig und Freudenstadt gebracht. Ich bin dankbar!

Der lange Weg zur Einheit in Freiheit
Der Weg bis zum heutigen Tag war unendlich lang, steinig und von vielen Opfern und Menschenrechtsverletzungen gepflastert. Und all das im Namen einer angeblich auf Sozialismus und Gerechtigkeit ausgerichteten Ideologie.
Einer Ideologie, die im Osten nie mehrheitsfähig war.
So wie die DDR zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte von einer Bevölkerungsmehrheit getragen war. Immer waren es die sowjetischen Panzer, die den deutschen Kommunisten ihre Herrschaft sicherten.
Beredter Ausdruck dieser Haltung war die ständige Abstimmung mit den Füßen. Bis 1961 verließen Millionen Menschen ihre Heimat gen Westen.
Erst der Mauerbau dämmte den Menschenstrom zu Tropfen ein, gänzlich verhindern konnte die SED die Abwanderung nach Westdeutschland und Westberlin nie.
Die Menschen riskierten nach dem 13. August 1961 ihr Leben und ihre Gesundheit, verloren ihr Eigentum und waren sich der Gefahr bewusst, dass die zurückgebliebenen Familienmitglieder und Freunde in den Fokus der Staatssicherheit geraten würden.
Der 20jährige Chris Gueffroy wurde im Februar 1989 das letzte Todesopfer an der Berliner Mauer. Soviel zum Schießbefehl und dessen Verleugnung durch die jetzige Linke.

Manchmal wurde die Frage gestellt, warum ließen sich die Ostdeutschen das alles gefallen? Das ist schnell beantwortet.
Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 in der DDR, der ungarische Volksaufstand im Herbst 1956 und der Prager Frühling 1968 wurden mit sowjetischen Panzern überrollt, die Polen kamen 1981 einer sowjetischen Invasion nur durch einen eigenen Militärputsch zuvor.
Die Ostdeutschen wussten also genau, was mit ihnen passieren würde. Was blieb, war das Hoffen auf politische Änderungen in Moskau, im Ostblock überhaupt.

Die Neue Ostpolitik, die KSZE-Entwicklung, aber auch die Warnung mit dem NATO-Doppelbeschluß (Gorbatschow gab Helmut Schmidt Anfang der 90er Jahre Recht) nährten diese Hoffnung.
Eine Hoffnung, die auf Veränderung der ostdeutschen Betonköpfe, auf Demokratisierung des Systems und letztlich auf Überwindung der politischen Zustände hinauslief.
Sinnbild der um sich greifenden Hoffnungen waren die Charta 77 in der CSSR, die Gewerkschaft Solidarnost in Polen, die kirchlichen Friedensgebete seit 1982 in Leipzig und die sich bildenden Menschenrechts- und Umweltinitiativen in der DDR.
Die Menschen wurden mutiger, weil sie sich auf internationale Abkommen und Verständigungen stützen und sich mit Hilfe medialer Bekanntheit im Westen zusätzlich sicher fühlen konnten. Glasnost und Perestroika in der Sowjetunion taten ein Übriges.
Es bedurfte eines Mannes wie Gorbatschow, der die Panzer nicht mehr rollen lassen wollte.
Erst jetzt waren Honecker & Co. mit ihren Armeen und Geheimdiensten hilflos allein zu Haus. Plötzlich fehlte der Mut, sich der Bevölkerung blutig entgegenzustellen.
Die Gefahr sowjetischer Invasionen schien vorläufig gebannt. Es wehte der Wind des Wechsels und der Freiheit im Ostblock.

Immer mehr Menschen fanden den Weg auf die Straße. Hunderte demonstrierten ohne Genehmigung im Januar 1989 anlässlich der jährlich staatlich organisierten Luxemburg/Liebknecht-Gedenkveranstaltung in Ostberlin für ihre Vorstellungen von Freiheit und Demokratie und beriefen sich auf Rosa Luxemburgs Satz von der Freiheit, die immer die Freiheit der Andersdenkenden sein soll, ohne zu wissen, dass Luxemburg nur die Freiheit der Andersdenkenden innerhalb ihrer eigenen politischen Bewegung meinte und freie Wahlen für das unmündige Volk strikt ablehnte.

Es geht los
Anlässlich der Leipziger Frühjahrsmesse 1989 nutzten 3000 Leipziger die mediale Weltöffentlichkeit und demonstrierten gegen die politische Ordnung.
Die Bilder gingen um die Welt und nährten wiederum die Hoffnungen der Menschen.
Am 2. Mai 1989 öffneten die lustigste Baracke im Ostblock, Ungarn, ihre Grenze nach Österreich, der Eiserne Vorhang bekam ein großes Leck und die DDR schien über diesen Umweg auslaufen zu können.
Im Juni 1989 ehrten die Ungarn mit Imre Nagy den Führer ihrer Erhebung von 1956 erstmalig als mutigen Ministerpräsidenten und denunzierten ihn nicht mehr als Konterrevolutionär.
Genau dies wollten wir für unsere Helden von 1953 endlich auch tun dürfen.
Die Ungarn hatten ihre Grenzen geöffnet, doch galt dies nur für ihre eigenen Leute. Angehörige anderer Nationen und Staaten durften Ungarn in Richtung Westen nicht verlassen.
Noch glaubten die Ungarn, ihre Ostblockverträge einhalten zu müssen. Nun begannen die Botschaftsbesetzungen von Budapest, Prag und Warschau.
Tausende Ostdeutsche suchten Zuflucht in den Botschaften der Bundesrepublik in Ungarn, der CSSR und in Polen. Gleichzeitig hielten sich ungefähr 20 000 fluchtwillige DDR-Bürger im ungarischen Grenzgebiet zu Österreich auf.
Alle warteten auf das Einknicken der SED-Führung in Ostberlin. Zumal der innere Druck zunahm.

Im Sommer 1989 fanden sich neue politische Gruppierungen wie „Demokratie Jetzt“ und SDP zusammen. Im September ging das Neue Forum an die Öffentlichkeit, die Leipziger Montagsdemonstrationen schwollen mächtig an und die friedliche Revolution nahm ihren Lauf.
Angeheizt durch die politischen Gruppenbildungen und die beständig anwachsenden Leipziger Montagsdemonstrationen, die Botschaftsbesetzungen in den sozialistischen Bruderländern, die provokativen Botschaftsausreisezüge durch den Süden der DDR in die Bundesrepublik – ich erinnere hier ausdrücklich an die Straßenschlachten und die Gruppe der 20 am Dresdner Hauptbahnhof sowie an die von Protestierern vollbesetzten Bahnhöfe von Reichenbach und Plauen - entstand bis zum Oktober 1989 eine Stimmung, die den Herrschenden zunehmend Angst einflößte.

Motor der friedlichen Revolution und Deutsche Frage
Zum Kulminationspunkt wurde der 9. Oktober von Leipzig. Tage vorher drohte die SED-Führung mit dem Massaker vom „Platz des himmlischen Friedens“ in Peking als der chinesischen Lösung für Leipzig und gab damit eine ernst gemeinte tödliche Drohung von sich.
Dennoch nahmen 70 000 Menschen an der inzwischen obligatorischen Montagsdemonstration teil. Friedlich machten die Demonstranten der Obrigkeit klar, dass sie das Volk sind und die da oben nicht dazugehören.
Die SED-Führung war gelähmt und suchte, das Heft des Handelns vergeblich wieder in die Hand zu bekommen. Es begann die Zeit der Dialoge zwischen den Bürgern und der Staatsgewalt bei gleichzeitigem explosionsartigen Anschwellen der Montagsdemonstrationen mit bis zu 500 000 Teilnehmern am 30. Oktober 1989.
Der SED schwammen die Felle davon. Honecker wurde gestürzt, die Regierung trat zurück und mit Krenz versuchten die „Tapezierer“, ihre DDR neu zu kostümieren und damit zu retten.

Stefan Heym, Christa Wolf und viele andere angesehene Persönlichkeiten kamen ihnen sogar entgegen. Ihr Aufruf „Für unser Land“ vom 26. November 1989 spielte der SED in die Hände.
Ihnen ging es um die Eigenständigkeit der DDR, dabei naiv in Kauf nehmend, dass die alte Nomenklatura weiterhin alles im Griff haben würde.
Das sah die Bevölkerung in der Provinz anders, das sahen wir in Leipzig grundsätzlich anders. Die Antwort auf den Ostberliner Aufruf „Für unser Land“ kam postwendend mit dem „Leipziger Aufruf“, der offene Gespräche zwischen beiden deutschen Staaten mit dem Ziel einer Konföderation oder der Einheit anmahnte.
Natürlich bedurfte es vorher freier Wahlen in der DDR.
Die Entwicklung verlief vom Januar 1989 bis zum 18. März 1990, den ersten freien Volkskammerwahlen, zunehmend rasanter. Baute sich bis zum 9. Oktober der Druck im Kessel und der Mut der Menschen langsam, aber stetig auf, so wurde die Entwicklung bis zu den Volkskammerwahlen atemberaubend schnell.
Veränderungen, die unter normalen Umständen Jahre brauchen, waren damals nach Tagen bereits veraltet und erforderten die nächste Änderung.
Herrschte bis zum 9. Oktober der gemeinsame Wille nach Freiheit und Demokratie vor, so artikulierten sich danach die unterschiedlichen Auffassungen über die Ziele der Emanzipationsbewegung.
Aus der emanzipatorischen Feststellung „Wir sind das Volk“ wurde die politische Forderung „Wir sind ein Volk“. Plötzlich war es möglich, den Ruf nach deutscher Einheit zu formulieren. Eine Forderung, die kurze Zeit vorher die Staatsmacht unerbittlich und vernichtend auf den Plan gerufen hätte, deshalb auch bis dahin nicht offen gefordert wurde.
Um schnell freie Wahlen und Demokratie zu erreichen und um das bisher Erreichte zu sichern, bedurfte es jeden Montag der vielen hunderttausend Menschen auf den Straßen Leipzigs und in der DDR.
Nur diese demonstrativ zur Schau gestellte Macht der Bevölkerungsmehrheit konnte der SED und dem MfS die löchrig gewordenen Grenzen aufzeigen.
Allerdings war klar, die vielen Menschen würden auf Dauer nur in großer Zahl kommen, wenn es auch regelmäßig zu politischen Kundgebungen kommen würde.
Dies galt besonders nach dem 9. November, dem Tag der innerdeutschen Grenzöffnung. Der mit der Grenzöffnung entwichene Druck musste über das regelmäßige Angebot an politischen Kundgebungen sozusagen kompensiert werden.
Neben das verführerische Angebot im plötzlich offenen Westen mussten wir unser politisches Angebot auf die Rednertribünen stellen. Es durfte politisch nicht ausreichen, reisen zu können und dafür alles beim Alten zu belassen.
Die Verhältnisse in der DDR mussten unumkehrbar verändert werden! Das ging nur über freie Wahlen und die Einheit in Freiheit.
Nur der Untergang der DDR in einer neuen Bundesrepublik konnte die Restauration der alten DDR und der Macht ihrer Epigonen auf Dauer verhindern. Deshalb bedurfte es bis zum März 1990 ständig hunderttausender Menschen auf den Straßen und Plätzen Ostdeutschlands!

Im Vorfeld der ersten freien Volkskammerwahlen am 18. März 1990 wurden die Demonstrationen politisch differenzierter, sie wurden zu Wahlkampfplattformen.
Letztlich setzten sich die Parteien am Wahlabend durch, die sich zur deutschen Einheit bekannten.
Ausschlaggebend für die Einzelergebnisse war das Zutrauen der Bevölkerung in die Geschwindigkeit des Einigungsprozesses, die die einzelnen Parteien versprachen. Hier war meine Partei klar im Nachteil.
Zwar wurde mir in Leipzig geglaubt, dass ich eine schnelle Einheit will,
ostdeutschlandweit konnten die Wähler es der SPD angesichts von Lafontaines Abwehrhaltung eben nicht glauben.
Folgerichtig gaben sie der „Allianz für Deutschland“ (CDU, DSU, DA) in großer Mehrheit ihre Stimme und damit den Auftrag, die Deutsche Einheit zügig anzugehen.
Für uns ostdeutsche Sozialdemokraten war es ungeachtet unseres schmerzhaften Wahlergebnisses eine Selbstverständlichkeit, mit der „Allianz für Deutschland“ eine große Koalition einzugehen.

Kurzum, die friedliche Revolution in der DDR setzte die Deutsche Frage auf die politische Tagesordnung und wurde ohne Zaudern beantwortet.
Auch hatten wir keine Zeit. Ein möglicher Putsch in der damaligen Sowjetunion hätte mit Sicherheit die russischen Panzer, wie 1953 geschehen, wieder auf die Straßen gebracht und all das von der Bevölkerung im Herbst 1989 Erreichte zerschlagen.
Ohne Todesopfer wäre dies angesichts der bekannten kommunistischen Geschichte niemals abgegangen. Dieser Gefahr mussten wir zuvorkommen.
Als dann im August 1991 in Moskau erfolglos geputscht wurde, waren wir bereits 9 Monate in der Sicherheit des westlichen Bündnisses.
Jede Bundesregierung, selbst eine von Lafontaine geführte, hätte sich dem Einheitsdrang der Deutschen positiv stellen müssen.
Es war aber Helmut Kohl und die von ihm geführte christlich-liberale Bundesregierung, die zu dieser Zeit die Geschicke der alten Bundesrepublik leitete und die Einheitssehnsucht der Deutschen in beiden Teilstaaten erfasste und ausdrücklich bejahte.
Deshalb ist es auch Helmut Kohls Verdienst, den deutschen Einigungsprozeß gemeinsam mit der demokratischen DDR- Regierung unter de Maiziere und Meckel vorangetrieben zu haben.
Die Fehler, die danach gemacht wurden, ändern an dieser grundlegenden Aussage nichts.

 


Fehler, Missverständnisse und Aufarbeitung
Fehler wurden tatsächlich gemacht.
In der Eigentumsfrage dem Grundsatz der Rückübertragung vor der Entschädigung den Vorrang zu geben gehört hier genauso dazu wie die Fehlentscheidung, in der Treuhandanstalt die ostdeutschen Firmen vorrangig verschleudern zu lassen, statt die erhaltungswürdigen vor dem Verkauf zu sanieren.
Statt vieler verlängerter Werkbänke im Osten Deutschlands hätten wir es heute mit selbsttragenden Firmen zu tun. Dies hätte heute Auswirkungen auf den innerstaatlichen Transfer. Er könnte geringer sein. Vielleicht inzwischen sogar ohne Solidaritätszuschlag. Doch das ist vergossene Milch.
Die innerdeutsche Solidarität ist wichtig und muss bis 2019 entsprechend des Solidarpaktes geleistet werden.
Danach müssen und werden die sogenannten neuen Bundesländer mit ihren Mitteln im Rahmen des allgemeinen Länderfinanzausgleichs auskommen wollen und müssen.
Bin ich gerade beim Solidarpakt bzw. dem Solidaritätszuschlag, dann möchte ich auch die Gelegenheit nutzen und Ihnen sagen, dass dieser Solidaritätszuschlag von Beginn an auch von den ostdeutschen Steuerzahlern gezahlt wurde und wird.
Diesen Umstand zu verdeutlichen, dies hatte die damalige Bundesregierung leider versäumt. Manch’ innerdeutsches Missverständnis wäre so nie entstanden.

Ein Missverständnis der besonderen Art ist das von der Hexenjagd auf ehemalige Stasileute in Ost und West.
Die SED oder die Linke, wie sie jetzt heißt, hat die Mär aufgetischt, dass die Stasiunterlagenbehörde eine westdeutsche Kolonisierungstruppe und dass die Stasiunterlagenaufarbeitung angeblich die organisierte Hexenjagd auf unbescholtene Mitbürger ist.
Beides ist grober Unfug. Es waren die Ostdeutschen, die zu hunderttausenden Akteneinsicht verlangten und dies durch ihre Abgeordneten im gesamtdeutschen Parlament gegen erhebliche rechtsstaatlich folklorierte Widerstände ihrer Westkollegen durchsetzten.
Was das MfS bis 1989 betrieb, dies war eine kontinuierliche Hexenjagd auf die eigene Bevölkerung!
Jeder war verdächtig ein Staatsfeind zu sein, jeder sah sich vorsichtig am Arbeitsplatz oder in der Kneipe oder sonst wo um, ob er sich offen unterhalten kann oder ob er belauscht wird.
Das war die eigentliche Hexenjagd!
Aber doch nicht der Wunsch, zu wissen, wer einen bespitzelt oder geschadet hat.
Die von der Stasi Bespitzelten wollten nur Gewissheit und keine Rache! An dieser Stelle sind die früheren Spitzel wahrscheinlich nur von ihrer eigenen minderen Moral ausgegangen und nahmen an, dass ihre Opfer genauso ethisch lädiert seien und mit ihnen so umgehen würden wie sie es 40 Jahre mit ihnen taten.
Das war wohl ein Irrtum!
Das Thema Aufarbeitung wird uns noch lange bewegen. Wir wollen nie wieder eine Diktatur in Deutschland erleben. Deshalb die Stasiunterlagenbehörde, deshalb die SED-Unrechtsbereinigungsgesetze.
Weil wir aus den Fehlern der Aufarbeitung der NS-Diktatur gelernt haben. Sowenig uns ehemalige Marinerichter als Ministerpräsidenten im Westen unseres Vaterlandes zusagten, genauso wenig wollten wir die Modrows und Gysis nicht als mögliche Regierungschefs in Ostdeutschland erleben.
Nur hatten wir das Glück, mit Hilfe der 60 Millionen anderen Deutschen den Einfluss unserer Abgehalfterten für immer eindämmen zu können.
Diese Möglichkeit gab es nach 1945 nicht.
Diktatur darf sich nicht lohnen. Nicht für die Träger des jeweiligen Systems, nicht für Spitzel und Handlanger und nicht für die Mitläufer!
Das ist unsere Lehre aus zwei Diktaturen, unermesslichem Leid und Deutscher Teilung!

Manch’ Zeitgenosse stolpert über den Begriff der friedlichen Revolution, galt doch bis 1989 die archaische Vorstellung, wonach Revolutionen und Blutbäder die Seiten einer Medaille sein müssen.
Aber was da 1989/90 ablief, das war revolutionär. Die Menschen hatten sich Demokratie und Freiheit erdemonstriert und die jeweiligen Staats- und Machtstrukturen wurden durch den Druck der Bevölkerung grundsätzlich verändert.
Statt der Diktatur des Proletariats leben heute Deutsche, Tschechen, Ungarn, Polen und viele andere seit 1989/90 in freiheitlichen Demokratien.
Sprechen wir besser vom Januskopf von Revolutionen.
Hier die blutgetränkte Revolution eines Lenin und seiner Gesinnungsgenossen gegen die Bevölkerung, da die friedliche Revolution der Bevölkerung gegen Lenins Herrschaftsform.
Es kommt immer auf die treibenden Kräfte an.
Sind es ideologisch verblendete, sich als Avantgarde sehende Terroristen oder kommt die Revolution aus einer friedlichen Bevölkerung, die nach Freiheit dürstet.

Erfahrungen in der Demokratie
Seit 17 Jahren haben wir die Einheit und leben in unserem gemeinsamen Staat. Seit 17 Jahren machen auch wir Ostdeutschen reale Erfahrungen in der Bundesrepublik Deutschland. Der heutige Festtag kann nicht der Tag eines vor allem kritischen Abrisses sein.
Doch möchte ich zwei Bemerkungen zum Allgemeinzustand machen. Die Bundesrepublik ist föderal verfasst und leistet sich demgemäß 16 verschiedene Bildungssysteme.
Was den immer mobileren Familien mit ihren schulpflichtigen Kindern damit zugemutet wird, ist der kritischen Nachfrage würdig.

Im politischen Diskurs missfiel mir von Beginn an die scheinbar fehlende Kraft, dem politischen Konkurrenten in dem Fall Recht zu geben, in dem er tatsächlich Recht hat. Das gilt leider für alle Parteien und Gruppen, die sich am Diskurs im demokratischen Gemeinwesen beteiligen. Ob es die Ostpolitik, die KSZE-Schlussakte, der Nato-Doppelbeschluß, die Waigelsche Steuerreform der 90er Jahre, der Transrapid oder die AGENDA 2010 waren, die jeweilige Opposition war immer dagegen, um damit in den Ländern zu punkten und über den Konflikt Bundestag-Bundesrat wieder in Bonn oder Berlin an die Regierung kommen zu können. Wie schnell dann die vormalige Regierungspartei sich von der eigenen Politik absetzt und die neue Regierungspartei die vorher bekämpften Positionen für sich übernimmt, das ist oft sehr ärgerlich. Und tut weh!
Im Moment vergessen die Grünen und Teile meiner Partei ihre sieben wichtigen Regierungsjahre. Und unser jetziger Berliner Koalitionspartner hat sich sein Problem mit dem vormaligen Bekämpfen der AGENDA 2010 und der aktuellen Notwendigkeit, diese AGENDA für den richtigen Schritt in die richtige Richtung zu erklären, geschaffen.

Wir müssen unsere politische Kultur wieder so offen gestalten, dass die Menschen merken, zuerst die Problemlösung und dann der eigene Platz in der Sonntagsfrage. Wenn uns das gelingt, dann muss uns um Deutschland nicht bange werden!