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Volksaufstand 1953 - Volksaufstand 1989

 

 

Es gilt das gesprochene Wort! Sperrfrist für die Presse: 17.06.2014 17 Uhr!

 

 

 

Gedenkrede zum

 

 

 

61. Jahrestag des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 und 25 Jahre „Friedliche Revolution in der DDR

 

 

 

Anrede,

 

 

 

am 17. Juni 1989 war ich Teil des üblichen sozialistischen Tankstellen-Wartekollektivs an der „Tabaksmühle“ in Leipzig in meinem „Trabant 600 Kombi“, mit dem ich zwei Jahre vorher mehrere Wochen lang ein Plakat „822 Jahre Leipzig“ spazieren fuhr (1987 feierten die Beton-Opas ihre 750-Jahre-Sause (Ost)Berlin“).

 

 

 

Es sollte die gewohnten ein bis zwei Stunden bis zur Zapfsäule dauern. Die Zeit vertrieb ich mir mit dem Deutschlandfunk und der Übertragung der Bundestagssitzung zum Tag der Deutschen Einheit.

 

Hauptredner war Erhard Eppler. Ja, genau der Eppler, der Helmut Schmidt und die Nachrüstung nicht begriff und zur fahrlässigen „Talkrunde“ mit der SED um "De(n)r Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit" gehörte.

 

 

 

Ein bisschen wunderte ich mich schon, wieso ausgerechnet er zum Thema 17. Juni 1953 für den gesamten Bundestag sprach. Nach seiner Rede wunderte ich mich nicht mehr.

 

 

 

Allenfalls darüber, dass er die Nachrüstung noch immer nicht verstanden hatte. Doch seine Rede mit der Adressierung an die SED, die hatte es in sich. Ich war mit ihm zumindest von Ferne etwas ausgesöhnt.

 

 

 

Ein Zitat von Erhard Eppler:

 

„Zu unserer Nation gehört, wer sich dazugehörig fühlt. Und dieses Gefühl zusammenzugehören, ist nach wie vor lebendig, in der DDR sogar stärker als in der Bundesrepublik.“ 

 

 

 

Da saß ich also in meinem 25 Jahre altem Trabbi innerhalb der sozialistischen Benzinwartegemeinschaft, hörte die Bundestagsdebatte zum „Tag der Deutschen Einheit“ und sann über die kommenden aufregenden Zeiten nach.

 

 

 

Sann auch darüber nach, was ich denn nun so alles anstellen würde.

 

Kurz vorher am 2. Mai 1989 hatte der ungarische Ministerpräsident Miklos Nemeth den Stöpsel aus der Wanne Ostblock gezogen.

 

 

 

Spätesten seit diesem Tag war durch die lustigste Baracke des Ostblocks – Ungarn – das greifbare Ende der untapazierbaren DDR und des sowjetischen Kolonialreiches eingeläutet.

 

 

 

Ich jedenfalls lebte fortan in diesem Gefühl. Und der Mut vieler DDR-Bürger zur Kontrolle der gefälschten Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 speiste sich vielleicht auch aus diesem Umstand des Mutes der ungarischen Regierung, die Lagertore nach Westen für immer kaputt zu machen.

 

 

 

Mit Freunden sprach ich über die Notwendigkeit der Gründung einer SPD. Auch weil ich der Auffassung war, mit so einer Parteigründung würde der SED eines ihrer beiden bleiernen Beine dem Namen nach abhandenkommen.

 

 

 

Gegen die Diktatur des Proletariats sein oder diese reformieren zu wollen, dass allein war schon deutlich genug für die Kommunisten in Ostberlin als Angriff zu empfinden.

 

 

 

Doch der SED den ideologischen Todesstoß versetzen, dies ging nur über die Gründung einer freiheitlichen, demokratischen und revisionistischen Sozialdemokratie.

 

 

 

Davon war ich überzeugt. Und bin es auch heute noch, auch wenn ich beschämt erleben muss, dass Teile der aktuellen Gestaltermehrheiten innerhalb der SPD scheinbar keine Probleme damit haben, nach den kommenden Landtagswahlen als Juniorpartner der Linken den SED-Nachfolgern den Zugriff auf Polizei und Bildung preiszugeben.

 

 

 

Mit Selbstbewusstsein in der politischen Auseinandersetzung hat dies ohnehin nichts zu tun. Es ist reine Kapitulation, der Mumm von damals ist weg. Welch‘ Schande!

 

 

 

Wenn das mal kein neuerlicher Ausreisegrund wäre! Zum Glück leben wir nicht mehr im Kasernensozialismus.

 

 

 

Wir haben nicht nur das Recht des Einmischens, der freien Meinungsäußerung und der freien Wahlen.

 

 

 

Wir haben sogar die staatsbürgerliche Pflicht, laut und vernehmlich Einhalt zu rufen!

 

Und niemand kann uns dafür mit Zersetzung oder Gefängnis bedrohen. Zuführen zur Partei geht auch nicht mehr.

 

 

 

Und freikaufen lassen müssen wir uns auch nicht. Diesen Menschenhandel hatten wir 1989 aus eigener Kraft in den Orkus geschoben.

 

 

 

An diesem Punkt bleibt noch anzumerken, es wären heute Putins Truppen in Leipzig, Borna, Geithain, in jeder Kreis- und Bezirksstadt der schon längst restaurierten SED-DDR, die uns ohne die Deutsche Einheit von 1990 argwöhnisch beobachten würden, die uns nicht auf die Straße lassen würden!

 

 

 

Ist doch schön, dass dies heute ganz anders ist und wir alle haben unseren Teil dazu beigetragen!

 

 

 

In dem Sinne setze ich auf Ihre Widerstandskraft von damals und hoffentlich auch von heute. Geben Sie Ihre Stimme in den kommenden Wahlen nur an Parteien, die Koalitionen mit Rechts- und Linksaußen gleichermaßen ausschließen!

 

 

 

25 Jahre nach der Friedlichen Revolution darf es nicht geschehen, dass Margot Honeckers Volksbildungssachwalter wieder über die Köpfe unserer Kinder und Enkelkinder Verantwortung übernehmen können und dieses Mal sogar infolge demokratischer Abläufe. Passen Sie bitte auf!

 

 

 

Verehrte Anwesende, liebe Freunde, unsere Sprache ist nicht die Sprache des Krenzschen Wendebegriffs. Was der Depp damals wollte, das wollte die Bevölkerung überhaupt nicht mehr.

 

 

 

Wir reden von friedlicher Revolution. Im Gegensatz zu den revolutionären Blutgesängen eines Lenins waren unsere Veränderungen auch revolutionär, doch sie waren friedlich.

 

 

 

Es ist halt immer ein Unterschied, wer die Revolution macht. Extremisten sind Minderheiten und benötigen für die Machtübernahme immer und überall rohe Gewalt, Lager, Verfolgung, Vernichtung der andersdenkenden Mehrheit. Und sie brauchen die Diktatur. Freiwillig macht nämlich so etwas keine Bevölkerungsmehrheit mit.

 

 

 

Anständige Leute wollen die Machtausübung friedlich erreichen und vor allem wollen sie diese Machtausübung immer wieder in demokratischen und freien Wahlen erneuern.

 

Anständige Leute brauchen keine Lager, kein MfS, keinen KGB. Denen laufen die Leute auch nicht davon! Deshalb brauchen sie auch keine geschlossenen Grenzen und keinen Schießbefehl. Nicht einmal paramilitärische Betriebskampfgruppen sind vonnöten!

 

 

 

Am 17. Juni 1953 erhoben sich Hunderttausende in der ganzen DDR. Sowjetische Panzer walzten diese Erhebung nieder. Mindestens 55 Tote waren zu beklagen.

 

 

 

In Leipzig starben Dieter Teich, Elisabeth Bröcker, Paul Ochsenbauer, Johannes Köhler, Eberhard von Cancrin, Erich Kunze, Herbert Kaiser, Gerhard Dubielzig, Joachim Bauer.

 

 

 

Was wäre aus diesen Menschen geworden, hätten sie die Chance nach einem geglückten Volksaufstand gehabt? Hätten sie sich zum Wohle des gesamten deutschen Volkes eingebracht? Wir werden es nie wissen.

 

 

 

Sie sollten sogar doppelt sterben. Einmal durch Mord und das zweite Mal durch Auslöschung ihres Namens aus dem kollektiven Gedächtnis der Nation. Das Auslöschen funktionierte nur bis 1989.

 

 

 

Wir 89er haben wenigstens dieses Unrecht aus der Welt geschafft. Stellvertretend für viele Hobbyhistoriker und Historiker danke ich Tobias Hollitzer für seinen Anteil am Entreißen aus dem Vergessen. Ich empfehle seine Broschüre „Die Toten des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953“ (LIT Verlag 2004).

 

 

 

Weil es eine Volkserhebung war, hat sich das Wort vom Volksaufstand in unseres Volkes Seele eingeprägt. Dieser Volksaufstand ging nicht glücklich aus. Was wäre, wenn er glücklich ausgegangen wäre? Würden wir dann mit stolzer Brust von einer Revolution sprechen?

 

 

 

Wären dann Dieter Teich, Paul Ochsenbauer oder ein anderes der Todesopfer lebende Helden der glücklichen Revolution geworden? Weil sie sich vielleicht noch zu lautstarken Akteuren der Demonstrationen entwickelt hätten?

 

 

 

Hängen wir das Etikett Volksaufstand den gescheiterten Volkserhebungen an und veredeln wir gelungene Volkserhebungen zu Revolutionen, gar friedlichen? Auch weil zu friedlichen Revolutionen irgendwie auch Führer passen? Es gab aber weder 1953 noch 1989 Führer. Beides waren Volkserhebungen.

 

 

 

Sehr geehrte Anwesende, ich laufe nicht gegen den Begriff der Friedlichen Revolution Sturm. Ich find es in Ordnung, so zu reden.

 

Doch für mich selbst war es 1989/90 ein gelungener Volksaufstand.

 

 

 

Volksaufstand auch deshalb, weil wir diesen Begriff den sich nach Freiheit (und Einheit) sehnenden Bürgern von Leipzig und der gesamten DDR von 1953 schuldig sind! Ihnen mit hohem Blutzoll misslungen, was uns dank Gorbatschows Duldung an Freiheit 1989 und dank der Westmächte und unserer unmittelbaren Nachbarn an Sicherheit 1990 gelungen ist:

 

 

 

Die Freiheit in der Sicherheit der Deutschen Einheit!   

 

 

 

Verspielen wir dies nie wieder! Nehmen wir immer teil am demokratischen Diskurs und halten wir gegensätzliche Standpunkte aus! Verbessern wir die EU, aber zerstören diese nicht. Halten wir die NATO demokratisch und pflegen das transatlantische Bündnis.

 

 

 

Wir haben seit 1945 Frieden und Freiheit in diesem Teil der Welt. Dieser Frieden und diese Freiheit sind Ergebnis von Westintegration, von EU und von der NATO-garantierten Sicherheit.

 

 

 

Bis zum März dieses Jahrs war es in Europa undenkbar, dass territoriale Änderungen, dass Annektionen wieder möglich sein können. Putin hat uns das Gegenteil bewiesen.

 

Es ist wohl immer noch und überall möglich. Nur nicht mit uns! Diese Botschaft scheint in Moskau angekommen zu sein. Drücken wir unsere Daumen für einen friedlichen Prozess in der Ukraine. Damit dort ebenso keine russischen Panzer mehr rollen wie 1953 in Leipzig und der gesamten DDR.

 

 

 

Auch das muss deutlich gesagt werden. EU und NATO haben sich nicht aus eigenem Willen, gar kämpferisch erweitert. Es waren die Polen, die Tschechen, die Slowaken, die Esten, die Litauer, die Letten, die Rumänen, die Ungarn, die Bulgaren, die allesamt aus gleichen Gründen wie wir es 1990 wollten, in die europäische Wertegemeinschaft eintreten und sich unter den Schutzschirm der NATO begeben wollten.

 

 

 

Konnten wir ihnen das tatsächlich verwehren? Wären wir moralisch dazu berechtigt gewesen? Diese Nachbarn waren es doch, die die Grundlagen unserer Freiheit mit schufen, die uns mit Freude in die EU und in die NATO ziehen ließen! Solidarität kann niemals eine Einbahnstraße sein. Gerade nicht für Deutsche, in deren Namen unendlich viel Leid über ihre Nachbarn gebracht wurde.

 

 

 

Der Volksaufstand von 1953 war für die ganze DDR-Zeit offiziell ein faschistischer Putsch. Wissen Sie das noch? Die Grenze zu Westberlin und nach Westdeutschland wurde zum Schutz vor den Revanchisten und Faschisten in Bonn dicht gemacht und Antifaschistischer Schutzwall getauft.

 

 

 

Im Herbst 1989 wurden die Demonstranten von der noch SED-gelenkten Presse zunehmend faschistischer Anschauungen geziehen. Besonders faschistisch schienen die Wünsche nach Deutscher Einheit zu sein.

 

 

 

Und 2014? Putin nennt die Demonstranten gegen Janukowitsch Faschisten und alle Welt schien diese Nebelkerze zu glauben. Selbst Ostdeutsche, die den Begriff des faschistischen Putschs von 1953 abscheulich fanden, Ostdeutsche, die weder den Prager Frühling, noch die friedliche Revolution 1989 faschistisch nannten, gingen dem KGB-Mann Putin und seiner Faschismuskeule aktuell auf den Leim.

 

 

 

Warum? Weil die Ukraine weit weg ist, weil zur Ärgervermeidung Putins Handeln geschluckt werden muss? Weil Putin den Amis endlich mal die Meinung geigt? Weil das Stockholsyndrom stärker ist als wir uns selbst etwas vormachen?   

 

 

 

Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir wollen und müssen auch mit Russland, unserem größten östlichen Nachbarn, in Frieden und guten menschlichen und wirtschaftlichen Beziehungen leben.

 

Russland steht uns kulturell viel näher als bspw. die Türkei. Was uns mit der Türkei auf Dauer gelingen wird, vertrauensvolle Partnerschaft, dies muss mit Russland viel besser möglich sein. Allerdings nach der europäischen Hausordnung mit ihren Grundsätzen von Menschenrechten und Anerkennung bestehender Grenzen.

 

 

 

Wir haben jüngst gewählt. Das Europaparlament und die kommunalen Parlamente. An der Europawahl nahmen die meisten von uns auch teil, weil sie bestimmen wollten, wer der demokratisch gewählte oberste Europäer werden soll. Das Ergebnis ist eindeutig. Gewonnen haben die europäischen Konservativen mit Jean-Claude Juncker an der Spitze.

 

 

 

Was vor der Wahl galt, dies muss auch nach der Wahl gelten! Juncker muss der Kommissionspräsident werden. Alles andere unterminiert ein weiteres Mal den europäischen Gedanken. In Demokratien sind die gewählten Parlamente als Vertreter der Bevölkerung die entscheidenden Gremien.

 

 

 

Entweder das Europaparlament setzt sich mit Juncker durch oder es bleibt das, was es nach Meinung vieler Zeitgenossen ist: Eine zweitrangige Angelegenheit. „Hast Du einen Opa? Schick ihn nach Europa!“ Wer diesen bösen Satz nicht Wirklichkeit werden lassen will, der muss den Aufstand der Europaabgeordneten gegenüber dem Europarat organisieren.

 

In ihren Heimatländern sind die Ratsmitglieder durch ihre Parlamente demokratisch zu Regierungschefs gewählt worden. In Europa wollen sie diese Demokratie nicht? Das können wir uns nicht gefallen lassen!

 

 

 

Den heutigen Tag können wir nicht begehen, ohne das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal zu erwähnen.

 

 

 

Die Idee dazu hatte der Oberbürgermeister im Sommer 2007. Durchgesetzt haben diesen Vorschlag verschiedene Abgeordnete mit Hilfe ihrer Fraktionen im Bund, im Freistaat Sachsen und in Leipzig. Vorläufig gescheitert ist es an den gerade an diesem Punkt sehr gemischten Mehrheitsverhältnissen im Leipziger Stadtrat.

 

 

 

Mehrheitsverhältnisse, die übrigens Folge von kommunalen Wahlergebnissen waren und sind. Wer die Freiheit als Einsicht in die sozialistische Notwendigkeit verhohnepiepelte, der muss zwangsläufig eine andere Sicht auf die Freiheit der Charta der vereinten Nationen haben. Da geht an diesem Punkt nichts zusammen.

 

 

 

Allerdings lässt die Freiheit der Partnerwahl in Parlamenten durchaus Mehrheitsfindungen jenseits der 1989 zur bürgerlichen Freiheit Gezwungenen zu.  

 

Gescheitert ist es auch, weil dieses Denkmal alles auf dem Augustusplatz, nichts, aber auch gar nichts auf dem Leuschnerplatz zu suchen hat.

 

 

 

Aber letztlich gescheitert ist es für den Augenblick, weil so ein Denkmal noch nicht dem überwältigenden Lebensgefühl der Leipziger entspricht.

 

 

 

Zwar wird es ein nationalstaatliches Denkmal der Bundesrepublik Deutschland in Leipzig sein, doch muss so ein Symbol auch in der Stadt breit angenommen werden können, in der es aufgestellt werden soll.

 

 

 

Lassen wir uns Zeit und freuen wir uns stattdessen an unserer Freiheit in Sicherheit. Wenn das nicht genügen sollte, erfreuen wir uns eben an den früheren Kasernen der sowjetischen Streitkräfte, die diese 1994 infolge von Freiheit und Einheit verlassen haben. Auch diese leeren Kasernen sind Symbole unserer Freiheit.

 

 

 

Am 9. Oktober 1989 glückte das erste Ziel der Aufständischen von 1953 – die Freiheit. Am 3. Oktober 1990 erfüllten wir uns den zweiten Wunsch der Teilnehmer des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 – die Sicherheit.

 

 

 

Ich verneige mich in großem Respekt vor unseren Vorgängern von 1953, denen die auf sie zukommende brutale Gewalt klar sein musste. Dennoch hatten sie den Mut zum Widerstand gegen Diktatur und Unterdrückung!

 

 

 

Vielen Dank!