· 

2013: Die SPD spielt mit dem Geschick dieser Republik

"Die Delegierten des SPD-Parteitages hatten am Donnerstag einen Leitantrag beschlossen, der von 2017 an erstmals ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene als Option vorsieht. "Für die Zukunft schließen wir keine Koalition (mit Ausnahme von rechtspopulistischen oder -extremen Parteien) grundsätzlich aus", heißt es in dem Beschluss." (Die Zeit 16.11.2013)

Von: Gunter Weißgerber

 

An: Sigmar Gabriel

 

                                                                                                                       16.11.2013

 

Offener Brief

 

 

 

Lieber Sigmar,

 

Du hast vom Parteitag ein ausgezeichnetes Wahlergebnis erhalten. Vierundachtzig Prozent sind eine starkes Mandat. Die Bundestagsparteien suchen derzeit mit einer wesentlich geringeren Zustimmung auf der Basis des Bundestagswahlergebnisses nach einer verantwortlichen Bundesregierung.

 

 

 

Allerdings mache ich mir sehr große Sorgen um die älteste demokratische Partei in Deutschland. Eine Partei, die in ihrer Geschichte von Rechtsextremen verboten und durch diese verfolgt wurde. Eine Partei, die genauso durch Linksextreme verboten und durch diese verfolgt wurde. Die Sozialdemokraten, die durch diese Antidemokraten zu Tode kamen, sind noch immer tot. Die extremen Gesinnungen leben dagegen noch immer fort. Und bleiben gefährlich, nicht nur für die SPD.

 

Du weißt dies alles sehr genau, hast dies zum 150. Geburtstag des ADAV in Leipzig in diesem Mai auch wunderbar beschrieben. Dies schrieb ich Dir dankend im Wonnemonat Mai sofort.

 

Ungeachtet dieser schmerzvollen Geschichte entschied der jüngste SPD-Bundesparteitag in Leipzig, Kooperationen mit rechtsextremen Parteien und Anschauungen auszuschließen und im gleichen Atemzug kein Wort über die gleichen Gefahren am linken Rand unserer Gesellschaft zu verlieren. Diese demokratische Unschärfe ist so bemerkenswert wie bedenklich.

 

 

 

An dieser Stelle möchte ich Dir eine Episode schildern, die mir im April dieses Jahres widerfuhr. Anlässlich eines Studienjahrestreffens in Freiberg sprach mich ein ehemaliger Kommilitone auf von mir im Herbst 1978 gemachte Aussagen zur SED an. Er drückte mir gegenüber seine Hochachtung dafür aus, dass ich 1989 genau das durchzog, was ich vor 35 Jahren in offener Runde sagte: „Ich werde nie in die SED gehen! Meine Partei gibt es schon, die ist in Westdeutschland in der Regierung und wenn es hier einmal eine SPD geben wird, werde ich dabei sein.“ Ähnlich argumentierte ich übrigens nicht nur einmal. Aus meiner Grundhaltung machte ich damals im Freundeskreis wenig Hehl. „Damals“ war übrigens eine lange, bleierne Zeit vor der friedlichen Revolution 1989, an die 1978 noch niemand dachte. Auch das letzte Maueropfer Chris Gueffroy hatte noch elf Jahre des Lebens vor sich.

 

 

 

Warum schreibe ich Dir dies alles? Weil ich sehe, dass die Partei, für die auch ich ein bisschen was riskierte, in ihrer Not, ein Wahlergebnis nicht annehmen zu wollen und in ihrem Drang, den Verhandlungspartner am möglichem Koalitionstisch die Waffenkammer zeigen zu sollen, in ihren Mitteln unanständig wird und wie der Zauberlehrling Geister ruft, die sie nie wieder wird bändigen können.

 

 

 

Ihr habt eine mögliche Kooperation mit den sogenannten Linken dieser Republik fachlich konditioniert. Dies genügt nicht! Die innere Grundhaltung der Linken zu Extremismus, zu linken Terrorsystemen gilt es genauso zu hinterfragen.

 

Von den Rechtsextremen wollen wir doch auch wissen, wie diese Konsorten zu ihren Ahnherren Hitler, Göbbels usw. stehen. Uns ist überhaupt nicht egal, was diese Leute unterhalb ihrer „Sachpolitik“ an ideologischem Fundament mit sich rumschleppen.

 

Was ein führendes Mitglied der Linken von Lenin und dessen Antidemokratismus, von dessen Menschenverachtung und von dessen erheblichem Initialanteil zu millionenfachem Mord hält, dies spricht die SPD des Jahrgangs 2013 nicht an. Weil es unbequem und störend ist?

 

Ihr wollt der sich momentan Linke nennenden Partei mit euren Konditionen auf den Weg zu verantwortlicher Politik verhelfen? Dann helft Ihr doch auch beim Loslassen inhumaner Ideologien. Diesen Schritt in die Zivilisation darf die SPD dieser Partei nicht ersparen.  

 

 

 

Lieber Siegmar, die SPD spielt mit dem Geschick dieser Republik in unverantwortlicher Weise, wenn Sie den Linken durchgehen lässt, was sie den Rechten zu recht niemals durchgehen lassen wird. Und sollte das Katz- und Mausspiel mit der Union dahin gehen, dass eine Ablehnung des Koalitionsverhandlungsergebnisses oder ein ständiger Koalitionskrach in den nächsten Jahren zu einem SPD-SED-Grünem Kanzler führen werden, dann wäre der nächste Schritt zum Niedergang der SPD getan.

 

 

 

1989 sind wir für freie Wahlen auf die Straße gegangen. Für ein endlos-Wählen-bis-uns-die-Regierung-passt kam uns nicht in den Sinn.

 

Sicher ist der Gedanke verführerisch, das Wahlergebnis nachträglich faktisch in einen Sieg der Bundestagswahlverlierer umzudrehen und Frau Merkel in die Opposition zu SPD-SED-Grün zu verbannen. Doch können dies nur Leute wollen, die wie Lenin und Konsorten aus einer Minderheit verbal eine Mehrheit (Bolschewisten) zurechterfanden. Der SPD sollten solche Strategien fremd sein.

 

 

 

Es ist eine riskante Gratwanderung, in die Ihr die SPD treibt. 1990 zählte die SPD eine Million Mitglieder. Mit Lafontaines Putsch 1995 in Mannheim begann das große Auszehren. Solltet Ihr den nächsten faktischen Putsch, dieses Mal im Bundestag, vollziehen, werdet Ihr die Kartei ein weiteres Mal dezimieren.

 

Die schöngerechnete arithmetische Mehrheit gegen die Union ist beileibe nicht mit einem erhofften Rückhalt in der Bevölkerung gleichzusetzen.

 

Je stärker Ihr die Linke umgarnt, umso dünner wird es in der Mitte. Schändlich ist es ohnehin.

 

 

 

 

 

 

 

Gunter Weißgerber

 

Sozialdemokratischer Redner der Leipziger Montagsdemonstrationen 1989/90

 

Mitglied der ersten freigewählten Volkskammer 1990

 

Mitglied des Deutschen Bundestages 1990-2009

 

 

 

P.s.: Der Brief ist offen, weil ich weiß, die Karawane wird weiter ziehen.

Nachträge:
Aufruf 2014

In Sorge um die Demokratie

Verdienstvolle Thüringer warnen

Demonstration am 4. Dezember 2014 gegen Blutigrot-Rot-Grün in Erfurt

Gunter Weißgerber Rede am 4. Dezember 2014


Reiner Kunze an die Demonstranten am 4. Dezember 2014 in Erfurt:

Der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke, Herr Gysi, formuliert das Ziel seiner Partei so: "Wir wollen ein Teil dieser Gesellschaft sein, um sie dann grundlegend verän­dern zu können."

Wer nicht wissen sollte, was das heißt, die Gesellschaft grundlegend zu verändern, dem hilft Frau Wagen­knecht weiter, eine von Herrn Gysis ersten Stellvertreterinnen. "Letztliches Ziel" der Partei Die Linke, sagt Frau Wagen­knecht, seien die "Überwindung" der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland und die Installierung des "Weltsozialismus".

Bedenkt man, daß Frau Wagenknecht den Prager Frühling von 1968 eine "Untergrabung" des Sozialis­mus und die friedliche Revolution von 1989 eine "direkte Kon­terrevolution" nennt, kann man sich vorstellen, mit welchem politischen System die Welt dann überzogen werden würde.

Nach der Logik von Herrn Gysi und Frau Wagenknecht, die nur deshalb ein Teil dieser Gesellschaft sein wollen, um die Ge­sellschaftsordnung der Bundesrepublik überwinden zu können, ist die Kandidatur eines Mitglieds der Partei Die Linke für das Ministerpräsidentenamt nichts anderes als eine Gelegenheit, diesem Parteiziel einen Schritt näher zu kommen.

Wem von den Abgeordneten des Thüringer Landtags die nach Auschwitz und dem sowjetischen Gulag errungene Freiheit ein Wert ist, der sollte, ehe er auf dem Wahlzettel das Kreuz setzt, noch einmal innehalten und sich bewußt machen, wofür er sich gegebenen­falls hergibt. Keiner von ihnen behaupte eines Tages, Frau Wa­genknecht und Herr Gysi hätten es ihm nicht deutlich genug zu verstehen gegeben.

 

Reiner Kunze