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Reformationstag 2008 - Neue Paulinerkirche Leipzig

 

Es ist Reformationstag. Traditionell begeht meine Partei – ein Kind der Freiheitsbewegung von 1989/90 – diesen Tag (an einem anderen Leipziger Ort) feierlich und im Gedenken an die Geschichte der Emanzipation des mündigen Menschen, der auch durch Martin Luther verkörpert wird.

 

Gleichzeitig macht die SPD Sachsen mit dieser jährlichen Veranstaltung klar, dass sie sich der schützenden und den Freiheitsgedanken fördernden Rolle großer Teile der Kirchen in der DDR bis 1989 bewusst ist. Andererseits hält sie sich, wie die anderen Parteien dem Anschein nach auch, aus den Diskussionen um die neue Universitätskirche heraus. Konsequent ist das nicht!

 

Der Beginn der Friedlichen Revolution 1989/90 ist ohne das schützende Dach der Kirchen, ohne den schützenden Schatten der Kirchen nicht denkbar! Die Kirchen boten den Raum, der den Medien der Welt die Möglichkeit gab, über andersdenkende DDR-Bürger in größeren Ansammlungen zu berichten. Leipzig und die Nikolaikirche wurden so zu Orten, aus denen aus der gesamten DDR zum Demonstrieren hingefahren wurde!

 

Deshalb redet heute mit mir ein dankbarer Sozialdemokrat zu Ihnen. Zudem spreche ich für viele - den Kirchen für ihren Schutz bis 1989 – ebenso dankbare Menschen. Ich spreche für viele Menschen, die bewusst nicht religiös sind und die dennoch um den Wert von Religionen für viele ihrer Mitmenschen wissen – und die dies achten.

 

Sicher, auch unabhängig der Kirchen gab es viele Menschen, die sich Freiheit, Demokratie, freie Wahlen und Deutsche Einheit wünschten und sich dies gut vorstellen konnten. Auch trafen sich viele Menschen ohne kirchlichen Schutz in Freundeskreisen. Doch eines war allen klar, frei konnten sie im Falle einer Verhaftung nur kommen, wenn ihnen Kirchen und westliche Medien zur Seite stehen oder ihnen zu schützender Popularität verhelfen würden!

 

Viele Andersdenkende suchten jedoch ihrerseits das schützende Dach der Kirchen, suchten deren Möglichkeiten, sich basisnah in der Zusammenarbeit mit mutigen Pfarrern politisch zu emanzipieren.

 

Sehr geehrte Anwesende, alles hat seine Zeit, wer zu spät kommt - schrieb Gorbatschow Honecker ins Gästebuch der agonierenden DDR- den bestraft das Leben. Wer zu früh kommt, scheitert gewöhnlich auch. Luther hatte so gesehen Glück. Am 31. Oktober 1517 war die Zeit überreif für einen wie Luther - hierzu können fachlich Versiertere heute gewichtigere Erklärungen abgeben. Worum es mir geht, warum sollte unser Zeit eine Auferstehung der Universitätskirche nicht ertragen? Warum verhalten sich so viele, denen das an dieser Kirche exekutierte Unrecht bewusst ist, angesichts der Chance, die Barbarei Ulbrichts nicht zu verewigen, so zaghaft und bestenfalls neutral?

 

Es sind nicht nur die frühere SED-Eliten, die sich nach und nach einen Teil der öffentlichen Meinung zurück-kampagnen konnten.

Es ist nicht nur der alte marxistische akademische Mittelbau, der sich gegen die ehrliche Bewertung der Sprengung der Unikirche wehrt und sich hier in seiner Biografie angegriffen fühlt.

Es sind nicht nur Anhänger des sozialistischen Experiments, deren höchstes Glück es war, dass es im Osten statuiert werden konnte und sie selbst nicht daran teilnehmen mussten – erst danach sind sie gekommen… .

 

Es sind auch nicht nur die jungen Menschen, die zur regionalen Geschichte keinen Bezug haben und die andererseits zum Glück viel vom nazistischen Unrecht wissen, das kommunistische dagegen mannhaft ausblenden.

 

Und – es sind manche Christen, auch in der SPD, die unser Anliegen nicht teilen. Hier sehe ich die größten Fragezeichen. Die Zwingburg ist geschleift, verhalten sich die früheren Insassen noch immer als ob diese noch trutzig stehen würde?

 

Es sind auch sehr viele nichtreligiöse Bürgerinnen und Bürger, die den Kirchen ihre Freiheit gönnen, die deren Rolle in der Vergangenheit schätzen und die dennoch eine unbestimmte Angst vor Missionierung haben. Nach Jahrzehnten täglicher Zwangskonsumierung der marxistisch-leninistischen Lehre, die in ihrer Art der Darbietung scheinreligiös wirkte, wollen viele Menschen ganz einfach nur ihre eigene Meinung bilden und diese nicht schon wieder vorgegeben bekommen. Dürfen wir uns über die anderen Gruppen wundern, so können wir bei diesem Teil der Bevölkerung Chancen nutzen! Hier kann Aufklärung viel bewirken.

 

Es geht nicht um das Gespenst einer Re-Christianisierung. Die Sprengung der Leipziger Universitätskirche war Unrecht und enthielt eine auf Waffen und furchterregenden Geheimdienst ruhende politische Botschaft: „Die Religionen sind für immer besiegt! Die Sieger sind wir und wir sprengen jeden und alles aus dem Weg!“

 

Der Sieger namens „Leninismus – der Marxismus unserer Epoche“ drohte an Stelle des früheren Universitätsgiebels fortan mittels eines Reliefs seinen „heroischen Erfolg“ von oben herab – bis er vom Volksaufstand 1989/90 seines staatlichen Fundaments entleibt und seit kurzem historisch kommentiert an anderer Stelle von seiner eigenen Vergänglichkeit künden darf - eine Diktatur hätte das Relief eingeschmolzen.. .

 

Die politische Botschaft des damaligen Unrechts kann nur politisch beantwortet werden! In diesem Sinne ist die Haltung der heutigen Universitätsleitung enttäuschend und kann nur als Segnung des politischen Unrechts von damals interpretiert werden! Etwa nach dem Lied: „Es war wohl Unrecht, doch die Ergebnisse können sich sehen lassen… !“ Mehr noch, der universitätskirchlich freigewordene Platz, die Keimzelle der Universität, wird mit Haut und Haaren von der jetzigen Universitätsleitung verteidigt! Ulbricht und Fröhlich hätten ihre wahre Freude daran.

 

Insgesamt steht die Auseinandersetzung um die Glaswand in der neuen Kirche – es ist eine Kirche, so werden Kirchen gebaut – natürlich nur stellvertretend für einen viel tiefer gehenden Konflikt: Es geht um die Bewertung von 1953 (Volksaufstand in der DDR), 1956 (Volksaufstand Ungarn), 1961 (Einmauern der Ostdeutschen), 1968 (während im demokratischen Westen „Wagemutige“ Steine werfend die Demokratie verbessern wollten, handelten im diktatorischen Osten überaus tapfere Menschen für grundlegende Menschen- und Freiheitsrechte), 1977 (Charta `77), 1981 (Polen) und 1989 (friedliche Revolution im Ostblock).

 

Was den zukünftigen Namen des neuen Kirchengebäudes angeht, so mag ich nur von der Universitätskirche sprechen. Das Gebäude sieht aus wie eine Kirche, ist gebaut wie eine Kirche, hat die Silhouette der alten Universitätskirche und steht an der Stelle der Universitätskirche St. Pauli. Im Inneren wird es durch den Einbau geretteter Teile massive Erinnerungen an die alte Universitätskirche sowie Andachtsmöglichkeiten geben. Gibt die Universitätsleitung nicht nach, so wird es der Volksmund richten. Die Leipziger werden wieder von der Unikirche reden und den Neubau meinen. Daran werden studierende Gäste der Stadt wenig ändern können. Studenten kommen und gehen, das Gebäude, welches wie eine Kirche aussieht und auch religiös genutzt werden wird, wird bleiben!

 

Es war Martin Luther, der mit seinen Thesen an die Öffentlichkeit trat und damit einen Streit mit Rom begann, der auch - und ganz bestimmt nicht zuletzt- ein Streit um das rechte Verhältnis von Kirche und Welt war. Das bestimmte Luther - wohl gemerkt theologisch, aus der Heiligen Schrift- so, dass es überhaupt erst möglich wurde, dass ein Kirchenraum samt Klostergut gewissermaßen verweltlicht und zum Universitätsgelände werden konnte.

 

Wie absurd ist es, eingedenk dieser Geschichte der Universitätskirche, die Weltlichkeit des Paulinums verteidigen zu müssen? Wer das zu tun entschlossen ist, sollte konsequenterweise den Namen Universität aufgeben - und sachgerecht wäre es ja- von einer Höheren Berufsschule sprechen. Diese Universität nämlich, ist ein Kind der Kirche.

 

Ich appelliere an die Leipziger Universitätsleitung eindringlich: Gehen Sie auf unser Anliegen ein! Gesellschaft und Religion müssen nicht per Glaswand auseinander gehalten werden – wer schaut in dem Fall dann eigentlich in das Terrarium hinein? Sind es die Blicke der weltlichen Besucher des Paulinums durch das Glas zu den dahinter „ausgestellten“ Gläubigen und ihrer Andacht oder bestaunen die Gläubigen durch das Glas die weltlichen Besucher in der Gegenrichtung? Wie sollen das alles eigentlich die Besucher aus aller Welt verstehen und deuten? Trennen die Deutschen ihre Zivilisation in Gläubige und Nichtgläubige? Warum suchen sie nicht das Miteinander? Können die Deutschen nicht einmal das?

 

Der Reformationstag ist ein Tag der Besinnung und der Rückbesinnung. Nutzen wir diesen Tag für ein gehaltvolleres Miteinander!

 

Eine letzte Bemerkung zur entstehenden Silhouette des Neubaus. Der Anblick ist wunderbar und lässt die alte Ansicht von Universitätskirche und Augusteum mehr als erahnen. Dafür bin ich sehr dankbar!!